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Führen die Spuren von den Auftragsmorden in den Kreml - und zu Ex-KGB-Offizier Wladimir Putin?

© Aleksey Nikolskyi/Kremlin via REUTERS

Anschlag auf Alexej Nawalny: Normalität mit Putin? Geht gar nicht!

Eine Normalisierung der Beziehung mit Russland ist gescheitert. Deutschland muss Verbrechen im Auftrag Moskaus und die Täter benennen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wie lange kann man sich blind und taub stellen, ohne zum Komplizen der Täter zu werden? Ohne sie in der Einschätzung zu bestärken, sie könnten ungestraft so weitermachen? Alexej Nawalny ist in der russischen Zivilgesellschaft ein Held. Seit Jahren deckt er Korruption auf und verbreitet Hoffnung auf Wandel. Was riskant ist.

Europa tut so, als könne es nur untätig mitleiden wie im Kalten Krieg

Wird die Liste der Oppositionellen, die unter mysteriösen Umständen im In- und im Ausland sterben, nun um seinen Namen länger? Europa tut bisher so, als könne es nur aufgewühlt, aber untätig mitleiden. So war es auch im Kalten Krieg, als die Sowjetdiktatur Oppositionelle drangsalierte und Aufstände in ihrem Machtbereich niederschlug, und der Westen wenig tat, um keine Eskalation zu riskieren.

Alexej Nawalny mit Ehefrau Julia (r), seiner Tochter Daria und seinem Sohn Zakhar 2019.
Alexej Nawalny mit Ehefrau Julia (r), seiner Tochter Daria und seinem Sohn Zakhar 2019.

© Andrew Lubimov/AP/dpa

Die Attacken auf oppositionelle Einzelpersonen haben System. Sie sollen allen den Mut zum Aufbegehren nehmen. Boris Nemzow wurde 2015 nahe dem Kreml erschossen, sein Berater Wladimir Kara-Mursa vergiftet. Der frühere Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter überlebten einen Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok 2018 im englischen Salisbury nur knapp.

Zuvor war Ex-Agent Alexander Litwinenko in London mit Polonium vergiftet worden und der Anführer der „Orangenen Revolution“ in der Ukraine, Wiktor Juschtschenko, mit Dioxin. Der Tiergartenmord in Berlin 2019 an dem Georgier Selimchan Changoschwili geschah laut Ermittlern in russischem Auftrag. Auch bei Nawalny ist der Verdacht: von der Staatsmacht vergiftet.

Gewalt gegen Nachbarstaaten, wie einst die Sowjetunion

Auf Opposition in Nachbarstaaten reagiert Moskau ebenfalls gewalttätig. In der Ukraine ließ Putin nicht gleich die Armee einmarschieren, sondern schickte „grüne Männchen“. In Belarus droht er nun mit Intervention. Die Botschaft ist die gleiche wie 1956 in Ungarn, 1968 in Prag, 1981 in Polen: Ein Ausbruch aus Moskaus Hegemonie wird nicht toleriert.

Wie kann man hierzulande nach all diesen Vorkommnissen einer „Normalisierung“ der Beziehungen zu Russland überhaupt noch das Wort reden? Eine redliche Debatte über die Bilanz des Umgangs mit Russland ist überfällig. Was haben all die Dialogforen gebracht, warum ist die „Normalisierung“ gescheitert?

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Deutschland weicht dieser Debatte aus, mit Einwänden, die zwar nicht falsch sind, aber dem Ansehen schaden. Zum Beispiel: Wo sind die Beweise, dass Putin die Fäden zieht? Die Warnung vor vorschnellen Urteilen ist richtig, wenn es um die strafrechtliche Bewertung geht. Politik muss jedoch handeln, wenn die Indizien so erdrückend sind wie in den meisten dieser Fälle.

Berlin reagiert auf den Tiergartenmord milder als London auf Skripal

Großbritannien wies nach dem Skripal-Anschlag 23 russische Diplomaten aus und verhängte Sanktionen. Die Bundesregierung reagierte auf den Tiergartenmord wesentlich milder. Neben schlechten Gründen, darunter Rücksicht auf Wirtschaftsinteressen, gibt es auch gute Gründe für die Leisetreterei. Ja, Putin geht rücksichtslos vor, aber wie soll man Einfluss nehmen, wenn man die Gesprächskanäle kappt?

Die Kosten der Zurückhaltung werden jedoch allmählich unerträglich hoch. Mutige Menschen wie Nawalny verdienen Solidarität, generell – und aus strategischen Gründen. Sie halten den Glauben an ein anderes Russland in einer Zeit hoch, in der die offizielle Führung dessen Ansehen in den Dreck zieht.

Nichts spricht dafür, dass Putin sich durch die bisherige Politik vom Morden abhalten lässt. Mit ihm kann es keine Normalisierung geben. „Naming and Shaming“, das hörbare Benennen der Verbrechen, würde die internationalen Kosten sichtbar und den Drangsalierten Mut machen.

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