zum Hauptinhalt
Amri steuerte einen Sattelzug auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche und tötete damit elf Menschen.

© Paul Zinken/dpa

Anschlag auf dem Breitscheidplatz: Für Bürokratie war immer Zeit

Drei Untersuchungsausschüsse beschäftigen sich mit Anis Amri. Die entscheidende Frage: Gab es das eine eklatante Behördenversagen? Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Werner van Bebber

Der Aufwand ist gewaltig: Mit Anis Amri, dem Mörder vom Breitscheidplatz, und seiner Tat im Dezember 2016 befassen sich drei Untersuchungsausschüsse: einer im Bundestag, je einer im Landtag von Nordrhein- Westfalen und im Abgeordnetenhaus von Berlin. Routine hat sich eingestellt. Polizisten und Verfassungsschützer werden gehört, über viele Stunden, Amris Reisewege werden rekonstruiert, und viele Fragen bleiben offen. Vor allem die eine, entscheidende Frage: ob es das eine eklatante Behördenversagen gab, das diesen Anschlag möglich gemacht hat.

"Es wurde deutlich, dass der Ernst der Lage nicht erkannt wurde"

Da passt die Nachricht wie die Faust aufs Auge, dass in Berlin eine Polizistin nun befördert wird, die bei der Überwachung von Anis Amri nicht besonders glücklich agierte. Jutta Porzucek leitete die Staatsschutzabteilung der Berliner Polizei, die Amri im Blick haben sollte, als er mit dem Bus von Nordrhein-Westfalen nach Berlin kam. Ihre Einlassungen vor dem Berliner Untersuchungsausschuss wirkten in ihrer Sprödigkeit wie ein Gemisch aus Hilflosigkeit und verdrängter Verantwortung: „Es wurde deutlich, dass der Ernst der Lage nicht erkannt wurde.“ Sie habe Amris Gefährlichkeit „nicht als hoch eingeschätzt“.

Andere Männer wurden für gefährlicher gehalten

Es ist (auch journalistisch) billig, aus Sätzen wie diesem im Nachhinein einen fatalen Fehler, ein Versagen zu rekonstruieren. Der Staatsschutz im Berliner Landeskriminalamt hatte und hat es mit einigen Hundert gewaltbereiten Islamisten zu tun – 380 waren es dem Verfassungsschutz zufolge 2016, als Amri den Fahrer eines polnischen Lkws erschoss, den Sattelzug auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche steuerte und damit elf Menschen tötete. Die Staatsschützerin Porzucek hat, wie andere auch, andere Männer für gefährlicher als Amri gehalten und dessen Überwachung vernachlässigt, um ebendiese anderen besser im Blick zu behalten.

Der Mann geriet außer Kontrolle, die Bürokratie nicht

Unglücklich wirkt diese Entscheidung dennoch – und vielleicht auch deshalb, weil für den bürokratischen Umgang mit dem Fall Amri immer Zeit genug war. Porzucek erläuterte im Untersuchungsausschuss das Verfassen von Überlastungsanzeigen. Im Islamistenchaos, das man als Folge der Flüchtlingskrise sehen kann, ohne mit der AfD zu sympathisieren, hatte beim Berliner Staatsschutz bürokratisch alles seine Ordnung. Platt gesagt: Der Mann geriet außer Kontrolle, der bürokratische Vorgang aber nicht.

Nun soll Jutta Porzucek Direktionsleiterin werden – die erste seit vielen Jahren in einem kleinen Kreis von lauter Männern. In der Polizei ist zu hören, dass dies zwei Gründe habe: Erstens gebe es vom Dienstgrad her nicht viele andere geeignete Bewerber. Zweitens sei die Beförderung von Frauen politisch gewünscht – siehe die neue Polizeipräsidentin Barbara Slowik. Oder siehe Margarete Koppers, die von der Spitze der Polizei zur Spitze der Staatsanwaltschaft wechselte, obwohl sie mit der Schießstand-Affäre bei der Polizei in Verbindung gebracht wird (damit ist die fahrlässige Gefährdung von Polizisten gemeint, die in unzureichend belüfteten Anlagen das Schießen trainieren mussten und großen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt waren).

Die politisch geschaffenen Zwänge, so heißt es, seien so stark, dass Porzucek nun trotz ihres unglücklichen Agierens im Fall Anis Amri vom Staatsschutz wegbefördert werde und als Direktionsleiterin gute tausend Euro mehr verdienen soll, von ihrem Rang mal abgesehen.

Nicht nur Porzucek hat Amri unterschätzt

Tatsächlich ergibt das Mosaik der Untersuchungsausschuss-Erkenntnisse im Umgang mit Amri vor allem eins: Unterschätzt haben ihn viele. Vielleicht konnte man ihn als Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde nicht wirklich einschätzen. Es gab immer nur Kenntnis- und Erkenntnissplitter. Da war der Polizist, der Amris ersten Asylantrag entgegennahm: Für ihn war Amri einer von vielen Hundert jungen Männern, die auf Deutsch bloß das Wort „Asyl“ aussprechen konnten. Für einen Staatsanwalt, der mit Amri wegen dessen illegalem Grenzübertritt zu tun hatte, war der Mann aus Tunesien bloß ein „Aktenvorgang“ – einer von zu vielen. Dann war da die Auswerterin des Bundesamts für Verfassungsschutz, die ehrlich sagte, sie habe Amri als Gefährder identifiziert, sei aber „relativ selten“ mit ihm in Berührung gekommen.

Lauter Menschen, deren Aufgabe die Bewahrung von Sicherheit und Ordnung hierzulande ist. Lauter Menschen, die einen Killer nicht erkannt oder unterschätzt haben. Überlastet war nicht allein Jutta Porzucek, überlastet waren und sind die Sicherheitsbehörden eines ganzen Landes.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false