zum Hauptinhalt

Anschlag in Ankara: Türkische Linksextremisten unter Verdacht

Zwei Menschen wurden am Freitag bei einem Bombenanschlag vor der US-Botschaft in Ankara getötet. Die türkische Regierung geht mittlerweile von linksextremen Tätern aus. Es wäre nicht das erste Mal, dass diese zuschlagen.

Nach dem Anschlag auf die US-Botschaft von Ankara suchen die türkischen Behörden nach den Drahtziehern. Eine Verwicklung kurdischer Rebellen, die in der Vergangenheit mehrmals Selbstmordattentäter einsetzten, gilt als wenig wahrscheinlich. Die türkische Regierung geht von der Täterschaft einer linksradikalen Gruppe aus, die erst vor wenigen Monaten mit einem Selbstmordanschlag einen Polizisten getötet hatte

Die Paris-Straße im Herzen Ankaras ist keine Straße wie jeder andere in der türkischen Hauptstadt. Selbst Anwohner brauchen einen Sonderausweis, um zu ihrer Wohnung zu kommen, denn die Paris-Straße führt an den Rückseiten der Botschaften vieler wichtiger Nationen vorbei, darunter auch der Vertretung Deutschlands. Ein Seiteneingang der US-Botschaft in der Paris-Straße dient als Zugang zur Visastelle, jeder Besucher wird in einem grauen Vorbau durchsucht, bevor er ins eigentliche Botschaftsgebäude gelassen wird.

Am Freitag um 13.11 Uhr (12.11 Uhr MEZ) betrat ein türkischer Mann die Sicherheitsschleuse der Visastelle. Als er durchsucht werden sollte, zündete er einen Sprengsatz, der ihn selbst in Stücke riss. Der türkische Sicherheitsbeamte Mustafa Akarsu wurde ebenfalls getötet, eine türkische Journalistin, die sich ein Visum für die USA besorgen wollte und zufällig gleichzeitig im Eingang aufhielt, wurde schwer verletzt.

Die Wucht der Explosion zerstörte die Tür und ein Fenster des grauen Vorbaus und schleuderte Leichenteile auf die Paris-Straße. Sofort ging die US-Botschaft in den so genannten Lock-Down: Alle Türen wurden verriegelt, die Mitarbeiter in einem Bunker versammelt, die Telefonleitungen gekappt. Draußen suchten türkische Experten unterdessen nach möglichen weiteren Bomben.

Fingerabdrücke von der Leiche des Angreifers brachten die Polizei bald auf die Spur von Linksextremisten. Der Selbstmordattentäter habe einer „linksradikalen Organisation“ angehört, sagte Innenminister Muammer Güler rund drei Stunden nach der Explosion. Nach Presseberichten handelt es sich um Ecevit Sanli, ein lang gedientes Mitglied der verbotenen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), die auch in Europa und den USA als Terrorgruppe eingestuft wird.

Nach Angaben der türkischen Staatsanwaltschaft hat die DHKP-C allein im vergangenen halben Jahr drei Polizisten getötet. Im September bekannte sich die DHKP-C zu einem Selbstmordanschlag auf eine Polizeiwache in Istanbul, bei dem der Angreifer und ein Beamter starben. Auch damals hatte der Attentäter seine Bombe im Eingangsbereich während einer Durchsuchung gezündet.

Erst vor wenigen Wochen waren die türkischen Sicherheitskräfte mit landesweiten Razzien gegen die DHKP-C vorgegangen. Die Polizeiaktionen sorgten für Aufsehen und Kritik, weil dabei auch mehrere Anwälte in Haft genommen wurden, denen vorgeworfen wird, Befehle inhaftierter DHKP-C-Mitglieder an die Organisation weitergeleitet zu haben. Auch Mitglieder der für ihr politisches Engagement bekannten türkischen Musikgruppe „Grup Yorum“ gerieten in den Strudel der Festnahmen, wurden aber wieder auf freien Fuß gesetzt.

Die Geschichte der 1994 gegründeten DHKP-C reicht bis in die 1970er Jahre und die damaligen, teils gewalttätigen anti-amerikanischen Proteste in der Türkei zurück. Später machten die Linksextremisten unter anderem mit der Ermordung des prominenten Unternehmers Özdemir Sabanci im Jahr 1996 Schlagzeilen.

Vor dem NATO-Gipfel von Istanbul vor neun Jahren starben vier Menschen bei der Explosion einer DHKP-C-Bombe in einem städtischen Bus – der Sprengsatz sollte der Organisation zufolge zum eigentlichen Anschlagsort transportiert werden und explodierte vorzeitig. Zum Anschlag von Ankara äußerte sich die DHKP-C am Freitag zunächst nicht.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, der Anschlag von Ankara sei gegen den inneren Frieden in der Türkei gerichtet gewesen. Die Türkei werde die Angriffe aber überwinden. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der DHKP-C muss davon ausgegangen werden, dass das Land davon noch weit entfernt ist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false