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Polizisten sichern den Ort des Anschlags in Istanbul.

© dpa/Matthew Aslett

Anschlag in Istanbul: Der Terror will uns alle treffen

Das Attentat im Herzen von Istanbul soll die Menschen demoralisieren und Staaten destabilisieren, die auf Gäste aus anderen Ländern angewiesen sind. Nun ist die Zeit für Trauer - aber auch für Solidarität. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Der islamistische Terror hat bisher Deutschland weitgehend verschont. Das aber als Sicherheit zu werten, ist schon lange eine Illusion. Denn dass es im Land selbst nur ein tödliches Attentat auf Menschen gegeben hat, den Mordanschlag auf zwei amerikanische Soldaten 2011 in Frankfurt, war allenfalls ein glücklicher Umstand, oft Ergebnis polizeilicher und nachrichtendienstlicher Vorsorge, oder auch einfach unfassbares Glück, weil Zündvorrichtungen von Bomben versagten.

Diese vermeintliche Ruhe im Inneren wird seit mehr als zehn Jahren durch Anschläge auch auf deutsche Touristen in den mediterranen Ferienregionen überschattet. Was jetzt in Istanbul geschah, ein Selbstmordanschlag mitten im Herzen der Stadt, hat Vorläufer. Auf der tunesischen Ferieninsel Djerba rammte 2002 ein mit Treibstoff beladener Lastwagen eine von ausländischen Gästen ständig besuchte Synagoge. Unter den 21 Toten waren 14 Deutsche.

Die Blutspur des "Islamischen Staates" und von Al Qaida ist überall da zu finden, wo sich Touristen aufhalten. Opfer kann jeder werden, ob Muslim oder Christ. Der Terror kennt keine Präferenzen, er trifft Einheimische und Touristen, Alte und Junge. Das Ungezielte ist geradezu ein Charakteristikum islamistischer Gewalt, denn was sie mit ihrer Blindwütigkeit erreichen will, ist der Zusammenbruch der staatlichen Strukturen überall da, wo Bomben und Selbstmordanschläge Unbeteiligte treffen.

Wenn in der Folge Touristen ausbleiben, wie das in Tunesien geschah oder nach dem Anschlag auf eine russische Passagiermaschine über dem Sinai in den ägyptischen Badeorten, brechen Unternehmen zusammen, verlieren Tausende die Arbeit, machen sich Elend und Hoffnungslosigkeit breit.

Dies ist der Nährboden für neue Gewalt, für verzweifelte Menschen, die ihre letzte Zuflucht in der pseudo-staatlichen und fanatisch-religiösen Ordnung der Dschihadisten sehen. Das ist eine der Wurzeln der Terroranschläge in Frankreich, für die sich auch junge und in Frankreich aufgewachsene Muslime zur Verfügung stellen und sich opfern – und dann Dutzende in den Tod mitreißen. Die Entwicklungen in Syrien und vor allem dem Irak belegen außerdem, dass die von Jahren des Bürgerkrieges zermürbten, fast verhungerten Einwohner belagerter Städte sich notgedrungen lieber unter das Dach der IS-Diktatur flüchten, als gleich zu sterben.

Staaten sollen bestraft, Bürger demoralisiert werden

Mit Anschlägen wie in Tunesien, Ägypten und immer wieder in der Türkei werden verheißungsvolle touristische Entwicklungen zerbombt und westlicher Einfluss zurückgedrängt. Und natürlich sollen Staaten bestraft und deren Bürger demoralisiert werden, die sich unter Einsatz militärischer Gewalt gegen den Terror wenden. Das könnte erklären, dass die Bombe in Istanbul an einer Stelle explodierte, an der sich oft sehr viele deutsche Touristen aufhalten.

Bei einem durch vielfältige innere Konflikte zerrissenen Land wie der Türkei ist aber bei der schnellen Festlegung auf den ideologischen und ethnischen Hintergrund des Selbstmordanschlags Vorsicht geboten. Zur Stunde bleibt rätselhaft, woher die Informationen jener türkischen Behörden stammen könnten, die sich schon wenige Stunden nach dem Anschlag auf die Benennung des IS als Urheber der Tat als einzige Möglichkeit festlegten.

Seit das türkische Militär wieder mit ungebremster Gewalt gegen die kurdische PKK agiert und diese im Land verbotene Organisation ihrerseits Anschläge und Überfälle verübt, ist auch ein solcher Hintergrund denkbar. Dass die türkische Regierung sofort nach dem Anschlag eine Nachrichtensperre verhängte, ist alles andere als ein Indiz für den Willen zu schneller sachlicher Aufklärung.

Unabhängig davon sollte die Trauer um die Opfer uns alle bewegen und zum Innehalten und Nachdenken bringen. Was ihnen geschah, hätte jeden von uns auf einer Reise treffen können. Wenn wir die Namen der Toten erfahren, wenn wir ihre Bilder sehen, sind wir vielleicht auch zu einem Zeichen der Solidarität fähig, wie uns Frankreich das in Stunden seiner Not so bewegend gezeigt hat.

Die Ereignisse vom Dienstag aus Istanbul können Sie im Tagesspiegel-Newsblog nachlesen.

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