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Erste Hilfe. Sanitäter versorgen die Opfer. Bei dem Anschlag in Tel Aviv wurden 13 Menschen verletzt.

© Yehoshua Yosef/Reuters

Anschlag in Tel Aviv: Motiv: Rache für Gaza

In Tel Aviv sticht ein Palästinenser auf Passagiere eines Busses ein – die Behörden sprechen von Terror. Die Hamas verteidigt die Attacke als "Selbstverteidigung".

Die junge Frau mit der Sonnenbrille ist etwas ungehalten, als der Sicherheitsbeamte sie am Eingang des Einkaufszentrums "Dizengoff" in Tel Aviv um ihren Personalausweis bittet. "Ich frage das heute alle. Haben Sie denn nicht gehört, was am Morgen passiert ist?", rechtfertigt sich der Mann, der ansonsten nur flüchtig in Rucksäcke und Taschen schaut. Dann darf die Kundin wie geplant ihre Einkäufe erledigen.

Alles wie immer in Tel Aviv. Die Einwohner lassen sich ihre Gelassenheit an diesem sonnigen Wintertag nicht nehmen – auch nicht von dem Anschlag auf einen Bus am frühen Morgen. Auf der viel befahrenen Menachem Begin Straße hatte wenige Stunden zuvor ein junger Palästinenser im Bus der Linie 40 mit einem Messer auf Passagiere und auf den Busfahrer eingestochen. Laut Polizei, die die Bluttat als Terrorattacke einstuft, soll er insgesamt 13 Menschen verletzt haben, mindestens vier von ihnen schwer.

Der israelischen Tageszeitung "Ha’aretz" zufolge soll der Täter ein junger Mann aus der Stadt Tulkarem im Westjordanland sein, der Israel illegal betreten hat. Trotz der Sicherheitsmauern und -zäune, die Israel zum Schutz vor derartigen Terroranschlägen an der Grenze zum Westjordanland gebaut hat. Und trotz der strengen Kontrollen an den Checkpoints. Ein Polizist soll dem fliehenden Mann wenige Meter vom Ort des Attentates entfernt ins Bein geschossen haben. Derzeit werde der Täter in einem Krankenhaus behandelt und verhört. Als Motiv soll er Rache für den Gazakrieg genannt haben.

Zurück in den Alltag

Wenige Stunde nach der Attacke wirkt es in der Menachem Begin Straße, als ob gar nichts geschehen wäre: Der Verkehr ist enorm. Die Israelis hupen wie immer ungeduldig, wenn es vor ihnen nicht schnell genug geht. Motorroller-Fahrer drängeln sich auf der mehrspurigen Straße an den Autos vorbei. Geschäftsleute – die Frauen in hohen Schuhen und die Männer mit Hemden – warten an den Ampeln, vermutlich auf dem Weg zu einer der Imbissbuden rund um die riesige Kreuzung im Zentrum Tel Avivs.

Lediglich ein abgerissenes Stück des rot-weißen Absperrbandes der Polizei, das am staubigen Straßenrand liegt, zeugt davon, dass hier etwas geschehen ist. "Klar hat man Angst. Aber etwas Außergewöhnliches ist das für uns nicht", sagt Liz, die in dem Autohandel direkt neben dem Tatort arbeitet. "Ich bin wie jeden Morgen gegen neun mit meinem Auto hergefahren und kam nicht durch, weil die Straße gesperrt war. Die Polizei war da, Krankenwagen und der Schin Beth, Israels Inlands-Geheimdienst. Ich habe deshalb ziemlich weit weg geparkt." Unter den Kollegen sei das Attentat heute Gesprächsthema, erklärt sie. Genauso wie unter den Politikern.

Netanjahu sieht Parallelen zu Paris

Premierminister Benjamin Netanjahu gab in einer schriftlichen Stellungnahme am Mittwochvormittag der palästinensischen Einheitsregierung, also Präsident Mahmud Abbas und der islamistischen Hamas, die Schuld an dem Anschlag: "Die Terrorattacke in Tel Aviv ist das direkte Ergebnis der giftigen Hetze der palästinensischen Autonomiebehörde gegen die Juden und ihren Staat. Derselbe Terrorismus versucht uns, auch in Paris, Brüssel und anderswo anzugreifen."

Von palästinensischer Seite gab es lobende Worte für den Terroristen. Die Führung der Hamas soll das Attentat Medienberichten zufolge eine "natürliche Reaktion auf das Leid der Menschen unter der Besatzung" bezeichnet haben. Und Ahmad Bahr, stellvertretender Leiter des palästinensischen Legislativrates, sprach von Selbstverteidigung. Der Weg der Verhandlungen, den die palästinensische Autonomiebehörde eingeschlagen habe, sei Zeitverschwendung und gebe Israel die Chance, den Rest Jerusalems zu "judaisieren" und weitere Siedlungen zu bauen.

Bulldozer gegen Bus

Seit der Gaza-Operation "Fels in der Brandung" im Sommer 2014 hat es in Israel immer wieder vereinzelte Terroranschläge dieser Art gegeben, vor allem in Jerusalem. So hat ein arabischer Arbeiter mit seinem Bulldozer bereits im August einen Bus gerammt und dabei einen Mann getötet. Im Oktober fuhr ein Attentäter mit seinem Auto in eine Haltestelle der Straßenbahn. Ein drei Monate altes Baby kam dabei ums Leben. Im November wurden bei einem Anschlag auf eine Synagoge in Har Nof fünf Menschen mit Messern abgeschlachtet.

Auch in Tel Aviv gab es einen bluten Angriff: Im November hatte ein Palästinenser einen israelischen Soldaten am Bahnhof Haganah erstochen. Von einer dritten Intifada, also einem erneuten blutigen Aufstand der Palästinenser, ist seitdem immer wieder die Rede.

Doch die Israelis lassen sich nicht ohne Weiteres einschüchtern. "Es ist gruselig: Man weiß nie, was in den nächsten zwei Minuten passiert. Aber was soll man machen?", fragt Shelly, die an der Haltestelle wenige Meter entfernt vom Tatort auf ihren Bus der Linie 68 wartet. "Hier hält auch die Nummer 40", sagt sie und zeigt auf das gelbe Schild. "Normalerweise steige ich immer morgens hier ein, um zur Arbeit zu fahren, genau zu der Zeit, als es heute passiert ist. Nur heute nicht."

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