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INDIA-MUMBAI-ATTACKS

© AFP

Anschlagswarnungen: Achtung, Vorsicht, Terrorgefahr

Ein US-Sender hat vor Angriffen auf Ziele in Berlin, Paris und London nach dem Vorbild der Anschläge in Mumbai gewarnt. Wie konkret ist die Gefahr?

Von Frank Jansen

Die Aufregung ist groß, auch wenn der Anlass mysteriös erscheint. Der US-Sender Fox News und das britische Boulevardblatt „News Of The World“ haben am Wochenende von angeblich geplanten Angriffen islamistischer Terroristen in Deutschland berichtet und sogar konkrete Anschlagsziele in Berlin genannt: das Hotel Adlon, nahe dem Brandenburger Tor und der US-Botschaft gelegen, den Fernsehturm am Alexanderplatz sowie den Hauptbahnhof. Die Rede ist auch vom Eiffelturm und der Kirche Notre Dame in Paris sowie dem Tower und einer U-Bahnstation in London. Die Wirkung dieser Meldungen wird verstärkt durch Warnungen der USA und Japans vor einem wachsenden Terrorrisiko bei Reisen nach Europa. Großbritannien sieht eine hohe Bedrohung in Deutschland und Frankreich. Doch es bleibt fraglich, ob neue, handfeste Informationen über bevorstehende Aktionen von Al Qaida oder anderen Gruppen vorliegen. Sicher ist nur, dass jede Angst den Islamisten in ihrem Zermürbungskrieg gegen den Westen nützt.

Angaben des pakistanischen Geheimdienstes zufolge wurden am Montag im Grenzgebiet zu Afghanistan bis zu acht deutsche Islamisten durch Raketen-Beschuss getötet. Eine offizielle Bestätigung für den Bericht des Geheimdienstmitarbeiters gab es zunächst nicht. Befürchtet wird, dass Menschen, die in Afghanistan oder Pakistan eine Terrorausbildung erhielten, nach ihrer Rückkehr in Deutschland Anschläge durchführen könnten.

Gibt es eine konkrete Anschlagsgefahr?

Die vom Tagesspiegel befragten Sicherheitsexperten sagen übereinstimmend, es lägen keine Hinweise auf Attacken gegen Adlon, Fernsehturm und Hauptbahnhof vor. Gäbe es eine reale Gefahr, so wird betont, hätte die Polizei umfangreiche Schutzmaßnahmen eingeleitet. Allerdings sprechen alle von einem unvermindert hohen Risiko terroristischer Aktionen gegen Deutschland und andere Länder des Westens. Und es gibt offenbar Hinweise, dass Al-Qaida-Chef Osama bin Laden für die Planung eines Anschlags Geld gegeben hat. Das wäre nach langer Zeit ein Indiz, dass er vom afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aus auch operativ tätig ist.

Nach Informationen des Tagesspiegels kamen die Hinweise von zwei aus Deutschland stammenden Islamisten, die derzeit intensiv befragt werden. Es handelt sich um den Deutschafghanen Ahmed S., den die Amerikaner auf ihrer Militärbasis Bagram nahe Kabul verhören, und um den Deutschsyrer Rami M., der vermutlich in der hessischen Justizvollzugsanstalt Weiterstadt vom Bundeskriminalamt vernommen wird. Ob die beiden Terrorverdächtigen die Wahrheit sagen, ist allerdings offen. Ihre Angaben sind nur in Teilen ähnlich, es gibt auch Unterschiede und Widersprüche.

Zumindest die Aussagen von Ahmed S. scheinen jedoch die Sicherheitsbehörden in den USA und dann auch in Großbritannien und Japan alarmiert zu haben. Die deutschen Behörden bleiben auffallend ruhig. Die Berichte über geplante Angriffe auf symbolträchtige Ziele in Berlin nach dem Muster des Massakers in der indischen Hafenstadt Mumbai im November 2008 werden als „Kaffeesatzleserei“ bezeichnet.

Womit rechnen die Sicherheitsbehörden?

Die Gefahr von Anschlägen in Deutschland gilt als unvermindert hoch. Da wird unabhängig von den Meldungen bei Fox News und „News Of The World“ auch nicht ausgeschlossen, dass die islamistische Terrorszene einen Angriff erwägen könnte, wie er 2008 über Mumbai hereinbrach. Ein etwa zehnköpfiges Kommando attackierte damals mit Schusswaffen, Handgranaten und Sprengstoff mehrere Ziele in der Metropole. Getroffen wurden unter anderem der Hauptbahnhof, das weltweit bekannte Hotel Taj Mahal Palace und ein jüdisches Gemeindezentrum. Die Terroristen, mutmaßlich von der militanten pakistanischen Gruppierung Lashkar-e-Toiba geschickt, wüteten drei Tage in der Stadt. 166 Menschen, nach anderen Quellen sogar 174, kamen ums Leben, mehr als 200 wurden verletzt.

So etwas könnte sich in Deutschland wiederholen, warnt der Leiter des saarländischen Verfassungsschutzes, Helmut Albert. „Ortskundige, hier aufgewachsene und unserer Sprache mächtige Terroristen, die eine infanteristische Ausbildung erhalten und Kampferfahrung gewonnen haben, gibt es in Pakistan und Afghanistan zur Genüge“, sagte Albert in einem Interview für die Juli-Ausgabe der Zeitschrift „Deutsche Polizei“, dem Organ der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Es dürfte nicht schwer sein, solche Personen und die für eine Anschlag notwendigen Waffen auf dem Landweg nach Deutschland zu bringen. „Dann könnten wenige Terroristen, die öffentlichen Gebäude, Banken und Hotels angreifen, um sich anschließend dort zu verschanzen, erheblichen Schaden anrichten und für ein riesiges Medienecho sorgen“, sagte Albert. Andere Experten fürchten zudem, die Polizei wäre bei einem solchen, als militärisch zu bezeichnenden Angriff „völlig überfordert“. Genauso wie Feuerwehr und Rettungssanitäter

Was hat sich in den vergangenen Monaten verändert?

Die Terrorgefahr scheint für Deutschland nicht mehr ganz so grell zu sein wie vor der Bundestagswahl im September 2009. Damals hatten Al Qaida und verbündete usbekische Gruppierungen massiv gedroht, um den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu erzwingen. Die Deutschen sollten so stark verängstigt werden, dass sie eine Regierung wählen, die den Einsatz der Soldaten abbricht. Dieser Plan ging nicht auf, doch die Sicherheitsbehörden waren beunruhigt. Nach der Wahl flaute die Medienoffensive ab. Allerdings drohte im Januar 2010 ein Kämpfer der Islamischen Bewegung Usbekistans mit einer Granate in der Hand, diese werde, so Gott wolle, nach Berlin oder nach Washington fliegen.

Besorgt sind die Behörden auch über die vielen Reisen gewaltbereiter Islamisten von Deutschland ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet – und bisweilen in die Bundesrepublik zurück. Etwa 110 Personen, die eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben sollen oder dies zumindest beabsichtigen, hielten sich derzeit in Deutschland auf, sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke im September dem Tagesspiegel. Von diesen Islamisten seien 22 besonders gefährlich, weil sie in Afghanistan gekämpft hätten. Zehn befänden sich in Haft, das restliche Dutzend sei auf freiem Fuß und werde permanent beobachtet, sagte Ziercke.

Was ist über Ahmed S. bekannt?

Der 36-jährige Deutschafghane war im März 2009 von Hamburg ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet gereist, um sich dem Dschihad anzuschließen. Die Amerikaner schnappten ihn im Juli 2010 in Kabul. Ahmed S. wird inzwischen von der deutschen Botschaft konsularisch betreut.

Der Islamist hatte sich in Hamburg im Umfeld der Taiba-Moschee bewegt, in der auch schon Selbstmordpiloten des 11. Septembers radikalisiert worden waren.

Aus demselben Milieu stammt der Deutschsyrer Rami M., der sich ebenfalls im März 2009 nach Pakistan begab. Im Juni 2010 signalisierte der 25-Jährige der deutschen Botschaft in Islamabad, er wolle nach Deutschland zurückkehren. Pakistanische Soldaten nahmen Rami M. fest, im August wurde er an die Bundesrepublik ausgeliefert und kam in Untersuchungshaft. So wie Rami M. scheinen, wie es in Sicherheitskreisen heißt, mehr als ein Dutzend Dschihadisten, die aus Deutschland stammen, den entbehrungsreichen Heiligen Krieg im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet aufgeben und zurückkehren zu wollen.

Was ist Fox News für ein Sender?

Der Sender gilt als sehr konservativ. Deutsche Experten vermuten, mit der Meldung über angeblich bevorstehende Terrorangriffe auf Berlin, Paris und London sollte vor allem US-Präsident Barack Obama unter Druck gesetzt werden, da er vielen Konservativen als zu weich bei der Bekämpfung des Terrors gilt.

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