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Politik: Anti-Terror-Koalition: Die Früchte der Demut

Gibt es einen Masterplan im Kampf gegen den internationalen Terrorismus? Man muss es sich wohl ganz anders vorstellen: Die Spitzenpolitiker in aller Welt machen sich Gedanken, welche Konsequenzen aus dem Anschlag vom 11.

Gibt es einen Masterplan im Kampf gegen den internationalen Terrorismus? Man muss es sich wohl ganz anders vorstellen: Die Spitzenpolitiker in aller Welt machen sich Gedanken, welche Konsequenzen aus dem Anschlag vom 11. September zu ziehen sind, und noch heißt der vorherrschende Gemütszustand: Ratlosigkeit. Unter diesem Vorzeichen reiste auch Joschka Fischer nach Washington, um mit dem amerikanischen Außenminister, dem stellvertretenden Verteidigungsminister und dem Präsidenten zu reden. Aber auch das beschreibt die Realität nur unzureichend. Tatsächlich hat es wahrscheinlich noch nie in der Geschichte der internationalen Politik so viele Gespräche und vor allem Telefongespräche in so kurzer Zeit gegeben wie im Moment. So hat auch Joschka Fischer zwischen den Beratungen mit Colin Powell, Paul Wolfowitz und George W. Bush zusätzlich mit seinem russischen, saudi-arabischen, iranischen, dem pakistanischen und portugiesischen Amtskollegen geredet, um nur einige zu nennen.

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Umfrage: Haben Sie Angst vor den Folgen des Attentats? Fotos: Die Ereignisse seit dem 11. September in Bildern Fahndung: Der Stand der Ermittlungen Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Auf diesem Weg des unablässigen Konferierens versuchen die Spitzenpolitiker vor allem des Westens, an der Spitze Amerika, die vorerst unlösbar scheinenden Probleme bei der Bekämpfung des Terrorismus zu lösen - miteinander, teilweise auch in Konkurrenz. Einige zentrale Dilemmata haben sich mittlerweile herauskristallisiert. Zunächst einmal müssen die USA auf den Angriff antworten, und sie werden das auch militärisch tun. Wie aber kann man bin Laden ergreifen, wenn man nicht weiß, wo er ist, wie kann man die Taliban angreifen, ohne die ganze Region zu destabilisieren? Um dieses Risiko zu verringern, hat man sich entschlossen, eine breite Anti-Terror-Koalition zu schließen, so breit, dass darunter auch Staaten sein könnten, die selber eher zu den Schurkenstaaten, zumindest aber zu den Unterstützern terroristischer Aktivitäten zählen. Diesen Weg zu wählen, war eine der strategischen Entscheidungen der letzten Tage.

Einige in der amerikanischen Administration hätten es lieber gesehen, wenn man nicht mit fast allen Staaten eine Koalition geschmiedet hätte, sondern gegen alle, die des Sympathisantentums verdächtig sind. Der nun eingeschlagene Weg vergrößert zunächst die Chancen, eine Destabilisierung vor allem der Anrainerstaaten Afghanistans durch Flüchtlinge und fundamentalistische Aufstände zu verringern. Von besonderer Bedeutung sind hier Pakistan und Iran.

Arabische Nationen sind gespalten

Die breite Koalition jedoch bringt zwei schwerwiegende Risiken mit sich. Zum einen zieht man einige arabische Regierungen näher zum Westen und damit weiter weg von ihren eigenen Völkern. In Ägypten scheint die Gefahr besonders groß, dass die Regierung Mubarak sich einreiht in die Koalition des Westens, die Massen sich aber beim ersten militärischen Schlag den Fundamentalisten zuwenden. Noch schwieriger wird es, in Pakistan solche Tendenzen zu verhindern, weil dort die Fundamentalisten einen besonderen Namen tragen: Taliban.

Der zweite Nachteil dieser breiten Koalition ist, dass man Gefahr läuft, den Bock zum Gärtner zu machen, also den Gegner zum Alliierten. Um es überspitzt zu sagen: Wenn sich noch die Hisbollah und die Hamas der Anti-Terror-Koalition anschließen würden, sollte der Westen mit dem Anwerben neuer Mitglieder langsam aufhören.

Eine allzu breite Koalition hat es selbst nach einem erfolgreichen Schlag gegen bin Laden und die Taliban schwer, so lange zu halten, bis die Netzwerke des Terrorismus außerhalb Afghanistans zerschlagen sind. Ein weiterer zentraler Punkt, auch bei den Gesprächen des deutschen Außenministers in Washington, war der Nahost-Konflikt. In ihm fokussiert sich der Hass gegen den Westen, vor allem gegen die USA. Nachdem Scharon und Arafat sich auf Druck der Amerikaner, der Deutschen und der UN zu einer Feuerpause bereit gefunden haben, wird nun versucht, durch ein Treffen zwischen Peres und Arafat einen Verständigungsprozess voranzutreiben. Denn ohne Erleichterungen an diesem Konfliktherd ist es schwer vorstellbar, dass die bald anstehende militärische Kampagne der Nato für die arabischen Länder erträglich sein könnte.

Noch kein Rezept gegen den Terror

Hinzu kommen die militärischen und geheimdienstlichen Defizite. Offenkundig weiß man selbst in den USA noch nicht, wo die Knotenpunkte im terroristischen Netzwerk sind und welche militärische Aktionen sinnvoll sein könnten. Joschka Fischer hat das nach seinen Gesprächen so ausgedrückt: "Die Amerikaner sind mit ihrer Planung noch nicht durch." Man darf vermuten, dass es sich dabei um eine beschönigende Formulierung handelt.

Angesichts der Größe des Konflikts und dem Grad der Ratlosigkeit stellt sich die Frage, was um Himmels willen der Außenminister eines mittelgroßen Landes mit problematischer Vergangenheit und einer eher weniger kampfkräftigen Armee zu alledem beitragen könnte. Zunächst einmal spricht wenig dafür, dass Fischer in Washington nicht nur redet, sondern auch etwas zu sagen hat. Eine Reihe von Gründen lassen sich jedoch gegen die tradierte und begründete Vermutung anführen, der deutsche Außenminister würde in dieser extremen Situation hier nur Weisungen entgegennehmen.

Joschka Fischer hat sich bereits in den letzten Monaten als Nahost-Vermittler eingeübt, war damit auch nicht wenig erfolgreich. Jedenfalls ist er bei beiden Konfliktparteien anerkannt. Anders ausgedrückt: Wenn er anruft, geht in Ramallah und Jerusalem jemand an den Apparat, und zwar recht rasch, und man hört ihm sogar zu. Doch wird der Rat von Joschka Fischer in Washington zurzeit auch deswegen gewünscht, weil man in vielem noch so ratlos ist. Und Fischer ist in diesen Tagen des Epochenwechsels - so empfindet jedenfalls er selbst diese Phase -, ein politisches Kraftwerk. Ständig wälzt sich in seinem Kopf die neue Lage um und um. Er produziert beinahe stündlich neue globale Analysen und lokale Ideen. Außerdem nützt seiner jetzt doch sehr offensiv interpretierten Rolle die durch all die Jahrzehnte zurückhaltende und lavierende deutsche Außenpolitik. Das gilt für Palästina und soll demnächst auch für Iran gelten. Hier können die Vereinigten Staaten den Moderator Fischer recht gut gebrauchen, denn die Bundesrepubik hat immer eine milde Politik gegenüber Iran betrieben und wurde dafür noch vor wenigen Jahren von einem geschickt-demagogischen Oppositionspolitiker namens Joschka Fischer heftig kritisiert.

Auch der Aufmarschplan fehlt noch

Doch so sehr man mit aller Energie und Vernunft an einem politischen, ökonomischen und militärischen Kampf gegen den Terrorismus arbeitet, so wenig scheint das Problem lösbar: Wie können Militärschläge aussehen, die die Anti-Terrorkoalition nicht gleich wieder sprengen und genau den islamistischen Aufstand provozieren, den die Taliban ja wollen? Joschka Fischer ist auf seiner USA-Reise den Fragen nach militärisch-taktischen Details mit dem Verweis auf Geheimhaltungsnotwendigkeiten ausgewichen. Er konnte dabei den Verdacht, er verschweige die geniale Militärstrategie nur, weil es keine gibt, nicht ganz ausräumen.

Ohne Zweifel wird die internationale Architektur gerade revolutioniert. Der Westen und die Taliban wollen dabei dasselbe, sie wollen, dass sich der arabisch-islamische Raum grundlegend verändert - nur in die entgegengesetzte Richtung. Das ist ein Spiel mit enorm hohem Risiko und Chancen, die vor neun Tagen noch niemand für möglich gehalten hätte. Dass ein deutscher Außenminister bei alledem eine gewisse Rolle spielen kann, ist ebenfalls überraschend und ein bisschen beunruhigend. Man wäre im Moment doch gern etwas mehr im Schatten. Aber so ist er eben.

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