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Alejandro Mayorkas wurde in Kuba geboren. Als er ein Jahr alt war, wanderten seine Eltern in die USA aus. Mayorkas ist promovierter Jurist. 1998 wurde er Staatsanwalt der Vereinigten Staaten im Zentraldistrikt Kalifornien. Er war der jüngste Jurist in diesem Amt. Von 2009 bis 2013 leitete Mayorkas die amerikanische Einwanderungsbehörde mit 18.000 Mitarbeitern und einem Budget von jährlich rund drei Milliarden Dollar. Seit 2013 ist Mayorkas stellvertretender Minister für Heimatschutz.

© Thilo Rückeis

Anti-Terrorkampf: USA: Europäer müssen endlich die Fluggastdatenspeicherung einführen

Alejandro Mayorkas, Vize-Heimatschutzminister der USA, ist frustriert, dass die Europäer so lange brauchen, um die Fluggastdatenspeicherung einzuführen. Im Interview mit dem Tagesspiegel sagt er außerdem zur BND-Affäre: "Wir haben keine Wirtschaftsspionage betrieben."

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Herr Mayorkas, Sie sind für die Innere Sicherheit der USA zuständig. Was sind derzeit die größten Bedrohungen?

Eine große Sorge sind radikalisierte Kämpfer, die aus den Kriegsgebieten in Syrien und dem Irak zurückkehren. Ihre Zahl wächst. Die andere große Sorge sind Einzeltäter, wir nennen sie „einsame Wölfe“. Sie reisen nicht unbedingt ins Ausland, um sich zu radikalisieren. Terrororganisationen wie der IS nutzen zunehmend die sozialen Medien, um solche Personen zu aktivieren, die anfällig für ihre Ideologie sind. Kürzlich haben zwei Männer in Texas bei einer Rede des Islam-Kritikers Geert Wilders einen Sicherheitsmann verletzt.

Was sind die größten Gefahren für Europa?

Im Wesentlichen sind es dieselben. Europa hat ein zusätzliches Problem: die geografische Nähe zu den Krisengebieten. Man kann leicht hin und her reisen. Zwei Mal im Jahr treffen sich meine deutsche Kollegin Emily Haber, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, und ich abwechselnd in Berlin und Washington, um uns über Themen, die für beide Länder relevant sind, auszutauschen.

Wie reagieren Sie auf die „einsamen Wölfe“?

Sie sind viel schwieriger zu entdecken als Terrornetzwerke wie Al Qaida. Zudem werden heute viel häufiger verschlüsselte Kanäle für die Kommunikation genutzt. Oft folgen wir einer Kommunikation über soziale Netzwerk. Plötzlich bricht sie ab, weil die Gesprächspartner auf einen verschlüsselten Weg wechseln. Das ist eine große Herausforderung.

Der britische Premier David Cameron hat angeregt, Verschlüsselung zu verbieten. Was meinen Sie?

Da gibt es keine einfache Antwort. Wir sehen den Wert von Verschlüsselungstechniken für den Datenschutz und unterstützen den Einsatz. In autoritären Staaten kann Verschlüsselung eine Hilfe für Andersdenkende sein, also der Meinungsfreiheit dienen. Zugleich müssen Regierungen Zugang zu Kommunikation haben, wenn die nationale Sicherheit das erfordert. All das muss man einbeziehen. Es gibt noch keinen Konsens, wie man das Dilemma löst. Wir suchen nach den besten Ideen. Präsident Obama hat zu einer öffentlichen Debatte aufgerufen.

Am 31. Mai  ist der Patriot Act ausgelaufen, der die anlasslose Vorratsdatenspeicherung erlaubte. Nach seiner Reform zum Freedom Act, die der Senat am 2. Juni  beschlossen hat, darf der Staat das nur noch mit richterlicher Erlaubnis. Ist nicht eine viel grundlegendere Reform nötig, wenn die „einsamen Wölfe“ aus den Netzwerken ausweichen?

FBI-Chef James Comey betont, dass wir die Vorratsdatenspeicherung weiter brauchen. Wir haben aber dazugelernt und deshalb die Reform in Angriff genommen.

Deutschland ist erst dabei, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Die EU plant, Fluggastdaten zu speichern. Ist Europa im Vergleich zu Amerika spät dran?

Die Fluggastdatenspeicherung ist ein sehr wichtiges Instrument für die Sicherheit der Luftfahrt. Wir drängen darauf, dass sie rasch beschlossen wird. Den Luxus weiterer Verzögerungen können wir uns nicht leisten. Es gibt eine Reihe von Personen, die versucht haben oder denen es sogar gelungen ist, in Konfliktgebiete zu reisen. Kürzlich wurden drei junge Frauen aufgegriffen, die von Denver nach Syrien wollten und in Frankfurt gestoppt wurden. Das Beispiel belegt, wie nützlich die Fluggastdatenspeicherung und wie hilfreich die Kooperation zwischen Deutschland und den USA ist.

Die Fluggastdatenspeicherung ist nicht allein Sache der Deutschen, sondern der EU. Erschwert  das die Zusammenarbeit?

Nicht grundsätzlich. Aber es verlangsamt die Umsetzung mancher Maßnahmen. Das ist frustrierend. Der Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris ist schon ein halbes Jahr her. Wir müssen die Instrumente nutzen, die uns zur Verfügung stehen.

Frankreich hat bereits die Vorratsdatenspeicherung. Es war bekannt, dass die Kouachi-Brüder in einem Terrorcamp im Jemen waren. Das hat den Angriff auf Charlie Hebdo nicht verhindert.

Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Die Frage ist vielmehr, ob Mittel wie die Fluggastdatenspeicherung unsere Chancen, potenzielle Täter rechtzeitig zu fassen, erhöhen und uns damit sicherer machen. Manchmal greift das eine, manchmal das andere Werkzeug. Unser Werkzeugkasten sollte so gut wie möglich gefüllt sein.

Die Beziehung zwischen unseren Nachrichtendiensten ist angespannt. Vertrauliche Informationen wurden öffentlich. Trauen Sie den Deutschen noch?

Unsere Zusammenarbeit ist sehr, sehr eng und lebt vom gegenseitigen Vertrauen.

BND-Präsident Gerhard Schindler hat öffentlich beklagt, Deutschland werde zu bestimmten Runden der Geheimdienste nicht mehr eingeladen.

Was die Kooperation der Geheimdienst betrifft, muss ich Sie an unseren Geheimdienstkoordinator James Clapper und die anderen Verantwortlichen verweisen. Für mein Ministerium, Homeland Security, kann ich sagen: Die Partnerschaft ist weiterhin stark.

Aus Ihrem Verantwortungsbereich kennen Sie kein Beispiel, dass Deutsche von Treffen ausgeschlossen wurden oder dass die Zusammenarbeit oder der Zugang zu Informationen eingeschränkt wurden?

Nein. In meinem Arbeitsbereich ist das nicht der Fall.

Wie groß ist die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den Deutschen für Amerikas Sicherheit?

Außerordentlich groß. Das belegt der Fall der drei abgefangenen Frauen. Der Informationsaustausch ist ausgesprochen wichtig.

Öffentlich bekannt sind eigentlich nur Fälle, wo die Deutschen von amerikanischen Informationen profitiert haben, etwa die Sauerland-Gruppe. Können Sie uns ein Beispiel nennen, in dem wichtige Informationen von den Deutschen kamen?

Ich kann Ihnen sagen, was uns interessiert: Informationen über Reisende, die von Syrien über Frankfurt in die USA einreisen wollen – und dass die Deutschen sie gleich in Frankfurt aufhalten. Es ist für uns von größter Bedeutung, dass unsere Partner in der Lage und willens sind, solche Personen zu identifizieren und ihre Weiterreise zu unterbinden.

Wie groß ist das Problem der Asymmetrie? Deutsche Dienste haben kleinere Budgets, schlechtere Technik, strengere Datenschutzauflagen. Was kann Ihnen Deutschland geben, was sie nicht selbst haben?

Symmetrie der Interessen und Symmetrie der Mittel ist keine notwendige Bedingung für eine kollegiale Zusammenarbeit, die  beiden  Seiten Vorteile bringt.

Alejandro Mayorkas wurde in Kuba geboren. Als er ein Jahr alt war, wanderten seine Eltern in die USA aus. Mayorkas ist promovierter Jurist. 1998 wurde er Staatsanwalt der Vereinigten Staaten im Zentraldistrikt Kalifornien. Er war der jüngste Jurist in diesem Amt. Von 2009 bis 2013 leitete Mayorkas die amerikanische Einwanderungsbehörde mit 18.000 Mitarbeitern und einem Budget von jährlich rund drei Milliarden Dollar. Seit 2013 ist Mayorkas stellvertretender Minister für Heimatschutz. Das Gespräch mit ihm führten Christoph von Marschall und Anna Sauerbrey während seines Deutschlandaufenthaltes in der vergangenen Woche in der Amerikanischen Botschaft in Berlin.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Mayorkas die derzeitige Spionageaffäre bewertet.

Für den abhängigeren Partner kann es ein Problem sein. Die NSA soll versucht haben, über den BND europäische Unternehmen auszuforschen. Ein Vorwurf lautet, der BND habe mitgemacht, um die Zusammenarbeit nicht zu gefährden.

Wir haben keine Wirtschaftsspionage betrieben, die US-Firmen einen ökonomischen Vorteil verschaffen. Das ist nicht unser Ansatz. Es geht ausschließlich um Fragen nationaler Sicherheit.

Aber würden Sie bestreiten, dass die NSA Selektoren benutzt hat, die sich auf Europäische Unternehmen und Regierungen bezogen?

Ich kann nicht über Selektoren sprechen, sondern nur betonen: Es geht nicht um Wettbewerbsvorteile.

Was ist der gedankliche Ansatz? Geht es um illegale Rüstungsexporte oder den Bruch von Sanktionen?

Ich muss auf meine vorherige Antwort verweisen.  Unsere nachrichtendienstlichen Aktivitäten konzentrieren sich auf unsere nationale Sicherheit und nicht Wettbewerbsvorteile.

Der Bundestag soll die Geheimdienste kontrollieren. Die USA wollen nicht, dass die Selektorenliste öffentlich wird. Wie würde die amerikanische Demokratie den Konflikt zwischen Kontrolle und Geheimhaltung lösen?

Auch unsere Gesellschaft reagiert da sensibel. Wir führen eine intensive Debatte, wo Bürgerrechte und individueller Datenschutz Vorrang haben vor Informationen für die nationale Sicherheit. Das ist ein Lernprozess, der zu Reformen führt. Wir verstehen, welche Emotionen im Spiel sind. Das sind keine speziell deutschen Gefühle. In bestimmten Fällen geben wir den demokratischen Kontrollinstanzen vertrauliche Dokumente, damit sie ihre Aufsichtspflicht erfüllen können. Entscheidend ist, dass die Informationen vertraulich bleiben.

Auch in den USA kommt es zu Leaks.

Ja, das passiert.

Gehört die Spionage selbst gegen enge Partner quasi zu den unverrückbaren Fakten von Geheimdienstarbeit?

Es tut mir wirklich leid. Das gehört nicht zu meinem Verantwortungsgebiet.

Sind das nicht brennende Fragen unserer Gesellschaft?

Ja, sie sind fundamental.

Aber für Sie hat Sicherheit den Vorrang?

Nein, nicht den Vorrang. Es geht um beides: die Pflichten der Regierung und die Individualrechte der Bürger. Ich bin nicht mal sicher, dass das Wort Balance den Kern trifft. Es geht eher darum, wie man beide zugleich sichern kann und sie koexistieren können. Das wäre die Perfektion. Sie ist nicht unmöglich. Die Reform zum „Freedom Act“ ist ein Schritt in diese Richtung mit dem Ziel, dass nicht staatliche Geheimdienste, sondern private Telekommunikationsgesellschaften die Daten aufbewahren.

Der Impuls kam nicht vom Staat. Edward Snowden war nötig, um die Reform anzustoßen.

Es darf nicht im Ermessen eines Individuums liegen, ob man Gesetze und Geheimhaltungsauflagen einhält oder nicht und dadurch die nationale Sicherheit gefährdet. Herr Snowden hat Gesetze gebrochen und wird einen fairen Prozess bekommen, wenn er zurückkehrt. Ich würde nicht behaupten, dass die Reform ohne Herrn Snowden nicht erfolgt wäre. In unserer Geschichte haben wir immer wieder die Fähigkeit zur Korrektur bewiesen.

Sie sind auch für Flüchtlinge zuständig.

Ja. Es ist zudem meine persönliche Lebensgeschichte.

Wie soll Europa aus Ihrer Sicht mit den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer umgehen?

Auch diese Erfahrungen teilen wir. Man muss humanitäre Hilfe leisten, darf aber Sicherheitsfragen nicht aus dem Auge verlieren. Auch unter Flüchtlingen kann es Menschen geben, die böse Absichten verfolgen.

In Asien schicken Länder Flüchtlingsboote zurück aufs offene Meer. In Europa sagen die Regierungen: Das geht nicht. Man muss die Menschen aus Seenot retten.

In solchen Situationen haben wir die Pflicht zu helfen. Wir Amerikaner haben Situationen erlebt, wo Menschen in ihrer Not über das Meer fliehen …

… Kubaner …

… ja, aber auch Haitianer nach dem Erdbeben 2010. Im vergangenen Jahr erlebten wir eine Flüchtlingswelle Minderjähriger aus Guatemala zu uns. Kinder im Alter von 6 und 8 Jahren, die in Gruppen reisten und allem möglichen Missbrauch und Gefahren ausgesetzt waren. Da muss man helfen und sie schützen.

Welche Rolle spielt dabei Ihre Biografie?

Meine Eltern, meine Schwester und ich sind Ende  1960 aus Kuba geflohen. Diese Erfahrung hat mich geprägt. Meine Mutter wurde zum zweiten Mal zum Flüchtling. Sie war im Zweiten Weltkrieg aus Rumänien geflohen. Später, als ich Direktor der Einwanderungs- und Asylbehörde war, reiste ich in ein Flüchtlingscamp an der Grenze zwischen Somalia und Kenia. Gebaut war es für 90.000 Menschen, aber dort lebten 300.000. Das hat mein Bild verändert, was Armut ist. Armut dort hieß nicht, dass Menschen nicht mal annähernd genug haben. Sondern dass sie gar nichts haben. Ihr Traum war, einen Slum in Nairobi zu erreichen. Danach wurde es für mich schwierig, mich selbst als Flüchtling zu betrachten.

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