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Mehr als 170 Grabsteine wurden jüngst an einem Wochenende auf einem jüdischen Friedhof in Rand von St. Louis (Missouri) umgestürzt.

© Tom Gannarn/Reuters

Antisemitismus in den USA: 70 Bombendrohungen gegen jüdische Einrichtungen in einem Monat

In den USA breitet sich eine Welle des Antisemitismus aus. Verbände fordern eine klarere Haltung der Regierung. Donald Trumps Worte dazu seien wie "Heftpflaster auf einem Krebsgeschwür".

Spätestens Ende Januar hätte Donald Trump eigentlich bemerken müssen, dass etwas nicht stimmt. Damals gab das Weiße Haus die erste Erklärung zum Holocaust-Gedenktag in Trumps Amtszeit heraus – und erwähnte die Juden mit keinem Wort. Diese Tatsache löste Empörung aus; nur die Nazi-Website „Daily Stormer“ applaudierte. Deshalb ist es kein Wunder, dass einige jüdische Verbände jetzt dem Präsidenten nicht so recht über den Weg trauen, wenn er die jüngste Welle von Bombendrohungen gegen jüdische Einrichtungen im Land verdammt. Trumps Worte seien wie „Heftpflaster auf einem Krebsgeschwür“, kritisierte das Anne-Frank-Zentrum in New York.

Fast 70 Mal sind jüdische Gemeindezentren und Schulen in den USA seit Januar das Ziel von anonymen Bombendrohungen gewesen. Allein am Montag dieser Woche gingen in elf Einrichtungen neue Drohungen ein. In St. Louis wurde ein jüdischer Friedhof geschändet, wie am Dienstag bekannt wurde: Die unbekannten Täter warfen mehr als 170 Grabsteine um. Festnahmen gab es keine.

Jüdische und muslimische Aktivisten sprechen von einem Klima des Hasses und der Gewalt, das den Minderheiten seit dem Wahlkampf des vergangenen Jahres entgegenschlage. Rechtsgerichtete Gruppen fühlten sich nach Trumps Wahlsieg und durch seine populistischen Parolen ermuntert, lautet der Vorwurf. Muslimische Verbände berichten fast täglich von Attacken oder Beleidigungen irgendwo im Land – ohne dass Trump diese Übergriffe bisher verurteilt hätte.

Der Präsident, dessen Tochter Ivanka vor ihrer Hochzeit mit dem frommen Juden und Präsidentenberater Jared Kushner im Jahr 2009 zum jüdischen Glauben übertrat, gab sich im Wahlkampf betont Israel-freundlich. Doch in seiner Umgebung tummeln sich Antisemiten, sagen Kritiker. So protestierte die jüdische Bürgerrechtsgruppe ADL im vergangenen Jahr gegen die Ernennung des Rechtspopulisten Stephen Bannon zum Wahlkampfberater von Trump; Bannon ist inzwischen Chefstratege im Weißen Haus.

Breitbart News, das bis zum vorigen Jahr von Bannon geleitete rechtsgerichtete Internetportal, ist schon häufiger mit antisemitischen Parolen aufgefallen, merken jüdische Kritiker des Trump-Beraters an. Der gegen das politische Establishment gerichtete Rechtspopulismus in den USA gerät leicht in die Nähe des Antisemitismus, weil den Juden eine beherrschende Stellung in den Eliten nachgesagt wird.

Nach einer ADL-Umfrage hegen 14 Prozent der Amerikaner antisemitische Vorstellungen. Fast 70 Prozent der Umfrageteilnehmer stimmten der Ausage zu, der polarisierende Wahlkampf des vergangenen Jahres habe die Toleranz gegenüber Menschen anderer Hautfarbe und anderer Religionen in den USA abnehmen lassen. ADL-Chef Jonathan Greenblatt fordert deshalb nach der jüngsten Welle der Drohungen konkrete Maßnahmen der Regierung, um den Antisemitismus zu stoppen.

Worte allein genügen nicht mehr, sagt Greenblatt. Trump hatte angesichts der jüngsten Drohungen gegen die jüdischen Einrichtungen von „furchtbaren“ und „schmerzhaften“ Ereignissen gesprochen. Es gebe noch viel zu tun, bevor „Hass und Vorurteile und das Böse“ besiegt seien. Ivanak Trump rief zur religiösen Toleranz auf.

Wie Greenblatt zeigte sich auch Steven Goldstein, der Leiter des Anne-Frank-Zentrums in New York, von den Reaktionen aus dem Weißen Haus unbeeindruckt. Der Antisemitismus habe sich längst in der Regierung des Präsidenten breitgemacht, erklärte er. Erst wenn Trump von sich aus etwas gegen die Judenfeindlichkeit unternehme, statt nur unter dem Druck neuer Ereignisse Stellungnahmen abzugeben, werde er glaubwürdig sein.

Jüdischer Weltkongress: Das ist ein Problem für ganz Amerika

Andere jüdische Organisationen sind ebenfalls in großer Sorge. „Der Antisemitismus zeigt wieder sein hässliches Gesicht. Bombendrohungen gegen Gemeindezentren, Friedhofsschändungen, Hassreden gegen Juden auf rechtsextremen Seiten im Internet, all das bestimmt in diesen Tagen die Nachrichten“, sagt Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Hass gegen Juden und jüdische Einrichtungen seien ein Problem für ganz Amerika. „Deshalb muss Amerika auch als Ganzes auf diese Bedrohung reagieren, parteiübergreifend und mit Entschlossenheit. Wer ein Gotteshaus angreift, egal welcher Religionsgemeinschaft es gehört, der greift Amerikas Grundwerte an.“ Lauder verweist in diesem Zusammenhang auf ein positives Zeichen: Passagiere in einem New York U-Bahnzug hatten den Waggon in Eigeninitiative von Hakenkreuz-Schmierereien befreit. „Das ist das wahre Amerika!“

Die Aktion in der U-Bahn war in der Öffentlichkeit als symbolischer Schritt gegen den Extremismus gefeiert worden. Ein Zeichen der Solidarität erhielten die rund sechs Millionen amerikanischen Juden jetzt auch vom muslimischen Dachverband CAIR, der eine Belohnung von 5000 Dollar für die Festnahmen der Urheber der antisemitischen Drohungen aussetzte. Unterstützung für die Juden sei die „Pflicht“ der etwa drei Millionen amerikanischen Muslime, erklärte der Verband. (Mitarbeit: Christian Böhme)

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