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Die al-Quds-Demonstration in Berlin hat dieses Jahr eine große Debatte um Antisemitismus ausgelöst.

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Antisemitismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland: Wir machen Juden und Muslime zu Nicht-Deutschen

In deutschen Medien füllen Judentum und Islam regelmäßig Seiten und Sendezeit. Die Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer meint: Juden und Muslime werden so zu Nicht-Deutschen gemacht. Ein Gastkommentar. 

Der von uns Deutschen exportierte Antisemitismus in die Welt - und vor allem nach Nahost - hat giftige Früchte getragen. Ihn nun „dem Islam“ in die Schuhe zu schieben, verfälscht nicht nur die Geschichte, sondern dient der eigenen Schuldabwehr und nicht etwa der Bekämpfung von Ressentiments. Im Gegenteil, antiislamische Ressentiments werden gar noch gestärkt.

Die Themen Nahostkonflikt und Holocaust laden meist ein, zur Pflege von Vorurteilen, zu Missverständnissen und Verhärtungen Statt gegenseitiger Schuldzuweisungen müssten wir uns auf die Perspektive des anderen einlassen. So kann jede Diskussionspartei dabei feststellen, dass vielleicht nicht Inhalte, aber doch die strukturellen Erfahrungen durchaus miteinander vergleichbar sind.

Nicht nur Juden und Muslime leiden unter dem Mechanismus der Verallgemeinerung, aber besonders hier erschwert die oft einseitig Partei ergreifende öffentlich geführte Debatte die Entwicklung hin zu konstruktiver Auseinandersetzung. Opferkonkurrenz schwächt die Akteure, selbstkritische Reflexion stärkt sie dagegen.

Neuer Antisemitismus?

Die Parteiergreifung macht sich darin bemerkbar, dass das Thema Gazakrieg und Völkerrecht in Israel-Palästina ganz klein geworden ist, während das Thema Antisemitismus ganz groß geworden ist. Unsere historische Verantwortung liegt aber beim Gesamtkonflikt, nicht bei einer der betroffenen Gruppen – wobei die Reduktion auf Juden und Muslime wiederum eine Verallgemeinerung darstellt, die den Konflikt entstellt.

Der Publizist Abraham Goldstein schrieb zur aktuellen Antisemitismusdebatte: „Den deutschen Antisemiten gibt es nicht mehr – und wenn, dann in Form eines ,muslimischen' Migranten ,mit deutschem Pass'.“

Bei der Kundgebung gegen Antisemitismus am Brandenburger Tor am letzten Wochenende haben einige, sich dezidiert als junge Juden bezeichnende Israelis mit Plakaten Verwirrung gestiftet, die dazu ausgelegt waren, etablierte Kategorien der einseitigen Opfersolidarität aufzuspalten. Auf einem hieß es: „Gegen Zionismus und Antisemitismus.“

Juden sind nicht Israel, Muslime keine Terroristen

Sind dies keine Deutsche? Junge Muslime putzen Stolpersteine in Berlin.
Sind dies keine Deutsche? Junge Muslime putzen Stolpersteine in Berlin.

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Hin und wieder erhalte ich von aufgebrachten Muslimen Mails mit Listen von Juden, die in Medien und Politik einflussreich sind und oft noch ein besonderes Verhältnis zu Israel betonen. Diese Listen sollen beweisen, dass hinter dem sich ausbreitenden antiislamischen Ressentiment eine „jüdische Verschwörung“ stecke.

Spiegelbildlich schicken mir auch Juden „Beweise“ für eine „islamische Verschwörung“, entweder Zusammenstellungen von Untaten oder Meinungen von Muslimen, die entweder aus evangelikalen Kreisen oder anderen Think Tanks stammen – darunter sind auch Stiftungen wie beispielsweise das David-Horowitz-Center, das sich wiederum in den Auflistungen von Muslimen wiederfindet.

Stigmatisierung damals und heute

Wenn ich darauf verweise, das beide Seiten einer Verallgemeinerungstechnik unterliegen, werden die Zuschriften meistens nur noch wütender. Nachdenklichkeit zu erzeugen ist da schon ein Erfolg, am anderen Ende der Reaktionsskala rangieren Beschimpfungen wie „Zionistenschwein“ oder „Muslimhure“. Unsere Medien könnten hier eine konstruktivere Auseinandersetzung befördern, indem man mit Zuweisungen von einzelnen Fakten auf ganze Gruppen zurückhaltender wäre – der Kommentar von Nikolaus Fest in der Bild am Sonntag stellt genau das Gegenteil dar.

Natürlich verbittet sich ein Vergleich von Muslimfeindlichkeit mit Antisemitismus in der Nazi-Zeit. Die Kulmination von Hass und Mythen und die industrielle Vernichtung von Menschen im Holocaust kann keine Schablone für die Wahrnehmung anderer Ressentiments sein – auch wenn diese ebenfalls tödlich enden können, wovon der Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini zeugt. 

Wer aber die Debatten im 19. Jahrhundert mit heutigen vergleicht, wird einige Parallelen in der Stigmatisierung, der Rechtfertigung von der permanenten Schuldigsprechung für Fehlentwicklungen der markierten Gruppe erkennen.

Der Christ gilt automatisch als guter Bürger

Auch die Verbände kooperieren mehr. Dieter Graumann (l.) und Ayman Mazyek repräsentieren die Zentralräte ihrer Religionen in Deutschland.
Auch die Verbände kooperieren mehr. Dieter Graumann (l.) und Ayman Mazyek repräsentieren die Zentralräte ihrer Religionen in Deutschland.

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Nach dem „verlorenen“ Kampf gegen den Synagogenbau wurden Juden als „Staat im Staate“ verdächtigt, die diesem gegenüber nicht loyal seien, obwohl sie sich vielleicht „geschickt verstellten“. Das Misstrauen den Juden gegenüber ging so weit, dass ihre Schriften und Predigten auf Deutsch verfasst werden sollten, damit sie kontrollierbar waren – analog dazu gab es in der Neuzeit Forderungen deutscher Politiker, in den Moscheen solle deutsch gesprochen werden. Bei den historischen Debatten, ob jüdische Lehrer denn loyale Staatsdiener sein könnten, wurde die Prämisse deutlich, dass Christen automatisch als gute Bürger galten. Dies schwingt auch heute noch in Formulierungen mit, die auch von Betroffenen übernommen werden.

Wenn etwa davon die Rede ist, dass die „Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen“ gut voran geschritten sei, oder auch, dass „das Verhältnis von Deutschen und Muslimen“ schwierig sei, dann gilt in beiden Fällen: Juden und Muslime sind keine Deutschen. Der prototypische Deutsche ist Christ, auch wenn gegenüber Muslimen gerne das „jüdisch-christliche Erbe“ betont wird. Von „christlich-deutschen“ Autoren oder Randalierern ist nie die Rede. Sprachlich markiert werden nur die Anderen, sogar im wohlmeinenden Diskurs.

Juden und Muslime werden anders gemacht

Qualitativ gibt es durchaus Unterschiede zwischen der These von der „Judaisierung“ und der von der „Islamisierung“ der Welt, letzteres hat nicht den Welterklärungsanspruch wie ersteres. Und ein weiterer wichtiger Unterschied ist: Während man sich Muslimen und „deren Rückständigkeit“ gegenüber eher überlegen fühlt, ist das Unterlegenheitsgefühl Juden gegenüber bis heute geblieben. Dies äußert sich unter anderem in Schriften rechtspopulistischer Autoren ohne genealogische Studien, die osteuropäischen Juden eine „15 Prozent höhere Intelligenz“ zusprechen.

Insofern gibt es weiterhin genug zu tun in der Bekämpfung von Antisemitismus – aber auch von Islamophobie. Statt Opferkonkurrenz zu befördern gilt es, den Reflex der fehlenden Empathie für vergleichbar Diskriminierte abzubauen. Als Ressentimentträger kommen dabei immer alle in Frage, die Mitglieder von Minderheiten und Mehrheiten – wir alle also.

Islamexpertin Sabine Schiffer
Islamexpertin Sabine Schiffer

©  IMV

Sabine Schiffer promovierte zur Islamdarstellung in den Medien und hat 2009 mit Constantin Wagner das Buch „Antisemitismus und Islamophobie – ein Vergleich“ veröffentlicht. 2005 gründete sie das unabhängige Institut für Medienverantwortung.

Lesen Sie hier alle Beiträge unserer Debatte zu den Themen Juden und Muslime in Deutschland:

Armin Langer: Muslime sind die neuen Juden.

Jascha Nemtsov: Muslime sind nicht die neuen Juden.

Lamya Kaddor: Reden wir über Antisemitismus und Islamfeindlichkeit.

Sabine Schiffer

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