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Die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU).

© REUTERS/Kacper Pempel

Antrittsbesuch in Warschau: Von der Leyen erinnert Polen an Wurzeln der EU

Polens PiS-Abgeordnete haben nach Angaben der Partei geschlossen für die künftige EU-Kommissionspräsidentin gestimmt. Nun erwartet das Land Dankbarkeit.

Die gewählte Kommissionspräsidentin der EU, Ursula von der Leyen, hat Polen und die EU bei ihrem Antrittsbesuch in Warschau aufgefordert, sich im Streit um den Rechtsstaat und die Migrationspolitik „mit Respekt zu begegnen“. Alle sollten sich der Gründe erinnern, „warum wir in der Europäischen Union zusammengekommen sind“. Mit diesem Aufruf bot sie neue Nahrung für Spekulationen, ob sie den EU-Staaten in Ostmitteleuropa weiter entgegenkommen will als die bisherige Kommission oder ob sie die Grundwerte ebenso kompromisslos verteidigt, nur in konzilianterem Ton. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte, es öffne sich eine „neue Ära mit neuen Chancen“.

Die EU hatte 2017 ein Strafverfahren gegen Polen wegen Zweifeln an der Rechtsstaatlichkeit nach Artikel 7 des EU-Vertrags eingeleitet, nachdem die nationalpopulistische Regierungspartei PiS das Justizwesen verändert hatte. Die Kommission ist im Konflikt mit Ungarn wegen der Eingriffe der Regierung Viktor Orban in Wirtschaft, Medien und Gerichtswesen. Und mit Rumänien, weil die sozialdemokratische Regierung dort eine Amnestie für verurteilte Funktionäre in schweren Korruptionsfällen anstrebte.

Seit von der Leyens knapper Wahl durch das Europäische Parlament vor zehn Tagen versuchen Unterstützer wie Kritiker zu ergründen, welchen politischen Fraktionen sie ihren Sieg verdankt und ob sie dafür Zusagen mit Blick auf den Kurs ihrer Kommission und die Vergabe von Posten gemacht hat. Die Abstimmung war geheim, deshalb kann niemand sicher sagen, wer sie gewählt hat und wer nicht. Polens PiS sagte am Tag nach der Wahl, die 27 Europaabgeordneten der PiS hätten geschlossen für sie gestimmt; das sei entscheidend gewesen, da sie mit nur neun Stimmen Vorsprung gewann; nun erwarte Polen Dankbarkeit. Auch die Europaabgeordneten der Regierungsparteien in Ungarn und Rumänien wollen für sie gestimmt haben.

Während Kräfte der Rechten ihre Unterstützung für von der Leyen betonen, werfen Linke ihr vor, es sei ein Skandal, wenn sie sich von Rechtspopulisten wählen lasse. Es ist jedoch unklar, ob die PiS geschlossen für sie gestimmt hat. Die 383 Stimmen lassen sich auch mit einer Koalition aus der christdemokratischen EVP, den Liberalen und rund zwei Dritteln der sozialdemokratischen S&D erklären.

Von der Leyen unter Beobachtung

Deshalb wird von der Leyen bei ihren ersten Auftritten genau beobachtet. In Warschau erklärte sie einerseits ihre Empathie für den mit Abstand größten Mitgliedsstaat in Ostmitteleuropa. „Polen ist ein wichtiges EU-Mitglied.“ Es sei ihr wichtig, nach Besuchen in Berlin und Paris nach Warschau zu kommen. Andererseits betonte sie die Grundwerte. „Freiheit, Rechtsstaat und die Würde des Einzelnen“ sind „die gemeinsamen Werte, die wir in der EU teilen“. Die werde sie verteidigen. Mit Morawiecki wolle sie über Nachhaltigkeit, Wohlstand und Sicherheit reden. „Es gibt Themen, bei denen wir uns einig sind und Themen, bei denen wir uns nicht einig sind.“ Sie konzentriere sich auf die gemeinsame Zukunft. Die Streitpunkte müsse man in respektvollem Umgang klären.

Ihre Reisen in EU-Staaten sind Antrittsbesuche aus Höflichkeit, um ein kooperatives Klima zu schaffen. Zugleich hat von der Leyen mit den nationalen Regierungen, die das eigentliche Machtzentrum in der EU bilden, einige praktische Fragen zu besprechen. Sie soll am 1. November ihr Amt antreten und muss eine Kommission zusammenstellen, für die sie Geschlechterparität anstrebt. Nominieren die Staaten eine Frau oder einen Mann für die Kommission? Welchen Fachbereich streben sie für diese Person an? Da muss von der Leyen Fingerspitzengefühl zeigen und Kompromisse organisieren.

Jedes Land wünscht ein mächtiges Ressort wie Finanzen, Wettbewerb, Verbraucherschutz. Ebenso muss sie im Blick behalten, dass das Europäische Parlament die Kommission bestätigen muss, sie also auch ablehnen kann. Für ihre Kommission braucht von der Leyen Kandidatinnen und Kandidaten ohne Schwachstellen. Und sie muss die Aufgaben zwischen ihnen so verteilen, dass die europäischen Ziele mehr befördert als behindert werden.

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