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Appell von Ex-SPD-Chef: Gabriel fordert von SPD harten Widerstand gegen von der Leyen

Gabriel geißelt den Beschluss des EU-Gipfels als "politische Trickserei". Zudem erklärt er, wie die SPD von der Leyen als EU-Kommissionschefin verhindern kann.

Es sah alles so schön aus. Olaf Scholz grinste neben der Kanzlerin, endlich mal ein Erfolg gegen die Schwarzen. Osaka, G20-Gipfel, vergangenen Samstag. Angela Merkel hat CSU-Mann Manfred Weber fallen lassen, sich aber offiziell zum Prinzip bekannt, dass nur jemand EU-Kommissionspräsident werden kann, der zuvor sich bei der Europawahl als Spitzenkandidat dem Votum der Wähler gestellt hat. Um Europa demokratischer, transparenter zu machen.

Und da Weber am Widerstand des französischen Präsidenten Emmanuel Macron wegen fehlender Regierungserfahrung gescheitert war, sollte es nun der Zweitplatzierte werden, der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermanns. Scholz hatte, wie auch Martin Schulz, im Hintergrund vermittelt, nun sollte beim EU-Gipfel die Ernte in die Scheune gefahren werden.

Scholz gab sich siegesgewiss, wissend, dass die Schlacht vor allem, mit den Regierungen aus Osteuropa zu schlagen war, da Timmermans mehrere Rechtsstaatsverfahren als bisheriger Kommissions-Vizechef gegen Polen und Ungarns Viktor Orban ins Werk gesetzt hatte. Merkel galt wegen der Unterstützung eines Sozialdemokraten als „lame duck“, aber schon Gerhard Schröder sagte: „Hinten sind die Enten fett“. Und Helmut Kohl meinte: „Entscheidend ist, was hinten raus kommt.“ Sie wirkt nun wie eine Gewinnerin, aber verloren haben fast alle.

Ihr Kardinalfehler bleibt: Auf den falschen, dicht mehrheitsfähigen Kandidaten gesetzt (Weber) und dann hat sie auch nicht Timmermans durchsetzen können. Von der Leyen wurde vor dem EU-Gipfel nur in der Variante EU-Außenbeauftragte durchgespielt. Doch am Montag, nach dem ergebnislosen 20 Stunden dauernden Anlauf für die Timmermans-Lösung gefror Scholz das Grinsen quasi im Gesicht ein. Ab Montagnacht wendete sich das Blatt, die Variante von der Leyen als Kommissionspräsidentin tauchte auf. Am Dienstag verdichtete sich das. Merkel rief aus Brüssel Scholz an, der war wenig amüsiert, koppelte sich bei den drei Übergangsvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel, Malu Dreyer und Manuela Schwesig zurück. Am Ende stand ein Nein der SPD.

Das führte zu der paradoxen Situation, dass Merkel sich bei der Nominierung der ersten deutschen EU-Kommissionschefin seit 61 Jahren, noch dazu der ersten Frau, enthalten musste. Doch schnell beeilte sich die SPD zu vermitteln, nein, ein Koalitionsbruch steht nicht zur Debatte, das sei es nicht wert. Der Tiger landete als Kätzchen.

Gabriel fassungslos

Der frühere Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist ziemlich fassungslos darüber – und sieht durchaus noch Hebel, die Rochade zu stoppen. Denn er kennt sehr genau die Geschäftsordnung der Bundesregierung und fordert seine Parteiführung auf, bei der noch notwendigen offiziellen Nominierung von Ursula von der Leyen (CDU) als Kommissionspräsidentin im Bundeskabinett mit Nein zu stimmen. „Das ist ein beispielloser Akt der politischen Trickserei: von der Leyen muss erst von Deutschland als Kommissarin benannt werden, bevor sie von anderen Staats- und Regierungschefs als Kommissions-Präsidentin nominiert werden kann“, sagte Gabriel dem Tagesspiegel. Diese nationale Berufung müsse laut Geschäftsordnung durch das Bundeskabinett erfolgen. „Die anderen Staats- und Regierungschefs können keine deutsche Kommissarin berufen, das kann nur Deutschland selbst.“ Die SPD könne das also aufhalten.

„Und sie muss es aufhalten, sonst macht sie bei diesem Schmierentheater mit und die Europawahlen zur Farce.“ Wenn Merkel von der Leyen ohne Kabinettsbeschluss benennt, „ist das ein klarer Verstoß gegen die Regeln der Bundesregierung - und ein Grund, die Regierung zu verlassen.“ Aus SPD-Regierungskreisen hieß es dagegen, man habe ja den Vorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk abgelehnt. Wenn aber das Europaparlament der Personalie zustimme, könne man kaum etwas machen. Die SPD könne dann nicht durch eine Blockade bei dem noch notwendigen offiziellen Kabinettsbeschluss zu der Personalie eine Staats- und Europakrise heraufbeschwören.

Partei in Glaubwürdigkeitskrise

Allerdings könnte der Partei dann eine neue Glaubwürdigkeitskrise wie im Fall Hans-Georg Maaßen drohen – und interner Ärger, wo doch gerade die vielen schmerzhaften Kompromisse den Verdruss über die große Koalition befördert haben und viele sich ein rasches Ende wünschen, um nach dem Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles einen kompletten Neustart in die Wege zu leiten. Von der Leyen wurde von der SPD immer wieder wegen ihrer Amtsführung und der Berateraffäre im Verteidigungsministerium kritisiert, nun würde man das von der SPD hochgehaltene Spitzenkandidatenprinzip mit aushebeln und zugleich von der Leyen zur EU-Regierungschefin befördern.

Der damalige Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), hatte 2014 das Spitzenkandidatenprinzip federführend mit entwickelt, wonach nur jemand Kommissionspräsident werden kann, der zuvor bei der Europawahl auch als europäischer Spitzenkandidat dem Votum der Wähler gestellt hat. Dieses würde durch von der Leyens Berufung nun ausgehebelt. Im Koalitionsvertrag hatte die SPD das Thema Europa und eine stärkere Demokratisierung an die erste Stelle gesetzt. Nun sehen viele in der SPD einen Rückfall in die Dominanz der Staats- und Regierungschefs, die Entscheidungen vorgehen. Aber das Parlament hat auch selbst versagt, weil es keinen mehrheitsfähigen Vorschlag für den Posten des Kommissionspräsidenten machen konnte.

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