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Politik: Appell zum schalen Einerseits-Andererseits-Denken

Voller Innovationslust und befreit von der bleiernen Erblast der alten, verschnarchten Bundesrepublik schreitet eine neue "Generation Berlin" freudig in die Zukunft. So will es der Mythos, den uns die derzeit vorherrschende Berlin-Mania suggeriert.

Voller Innovationslust und befreit von der bleiernen Erblast der alten, verschnarchten Bundesrepublik schreitet eine neue "Generation Berlin" freudig in die Zukunft. So will es der Mythos, den uns die derzeit vorherrschende Berlin-Mania suggeriert. Von dessen Glanz möchte jetzt auch eine Gruppe von zehn jüngeren sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten etwas abbekommen. Sie nennen sich kess "die Youngsters" und wollen demnächst eine Zeitschrift mit dem Titel "Berliner Republik" herausbringen. Sie fordern die "staatstragenden Yesterday Heroes der 68er" heraus und verkünden, es werde jetzt "endlich eine jüngere progressive Generation erkennbar, die erst von Berlin aus wirksam wird".

Von so viel jugendbewegtem Pathos aufgerüttelt, eilte man am Dienstagabend voll gespannter Erwartung ins Berliner Willy-Brandt-Haus, wo sich die SPD-Wilden vorstellen und im Podiumsgepräch mit dem Soziologen Heinz Bude und dem Politikwissenschaftler Franz Walter "die Selbstverständigung dieser politischen Generation" vorantreiben wollten. Aber ach - was die Jungsozis um Nina Hauer und Carsten Schneider an neuen Perspektiven anzubieten hatten, war bestürzend wenig. Sieht man von ihrer Beteuerung ab, sich von "den 68ern" nichts mehr vorschreiben zu lassen, unterscheiden sie sich weder inhaltlich noch rhetorisch von ihren Partei-Altvorderen, die sie angeblich vom Sockel stürzen wollen. Da geht es ihnen etwa darum, dem abtrünnigen roten Wahl- und Fußvolk "ein Stück weit" klarzumachen, dass das Sparprogramm der Bundesregierung ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit sei. Solches gelte es nun medienwirksamer "rüberzubringen".

Nein, nicht mit wildentschlossenen Erneuerern haben wir es hier zu tun, sondern mit netten, über die Maßen korrekten jungen Leuten, die in ihrem Versuch, ihre Ratlosigkeit als dissidente Nachdenklichkeit auszugeben, fast rührend hilflos wirken. Ihr Barde ist Heinz Bude, der mit kühner wissenschaftlicher Terminologie die gemeinschaftsstiftende Kraft des Generationsbegriffs besingt, mit apodiktischer Schärfe die Bonner Republik für eine "abgeschlossene Periode" erklärt und seinen von so viel dezisionistischer Emphase sichtlich überforderten Schützlingen mit der Feststellung schmeichelt, sie seien - dem "Geschenk der Einheit" sei Dank - endlich in der Lage, das nachkriegsdeutsche "Skript zu ändern". In welche Richtung, lässt er absichtsvoll im Dunkeln. Das soll jener ultrapragmatischen Alterskohorte der 35-45-Jährigen überlassen bleiben, die jetzt von der "Haltung der Kritik" zur "Haltung der Definition" übergegangen sei. Sie denke nicht mehr in Konfrontation und Gegensätzen, sondern strebe nach deren Aufhebung in einem "Dritten".

So mündet Budes theoretischer Höhenflug in einem Appell zum schalen Einerseits-Andererseits-Denken, und das Fabelwesen "Generation Berlin" entpuppt sich als neues Juste Milieu ideenarmer und konfliktscheuer Neuankömmlinge, die in der undurchschaubaren Metropole nach Halt in gutbürgerlicher Normalität und einer bescheidenen Karriere suchen. Bude liefert dieser farblosen Mitte die soziologische Lyrik und stilisiert ihre Suche nach "neuer Zugehörigkeit" zum Epochenereignis.

Richard Herzinger

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