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Arabischer Frühling: Ägyptens Frauen - die großen Verliererinnen

Seite an Seite mit den Männern kämpften Ägyptens Frauen für Demokratie – von der Macht aber bleiben sie weitgehend ausgeschlossen.

Die Bilder gingen um die Welt: Eine Horde Soldaten zerrte eine junge Frau über den Tahrir-Platz. Mit Knüppeln droschen die Uniformierten auf die am Boden Liegende ein. Einer trat ihr mit seinem Stiefel ins Gesicht, ein zweiter in den Magen, am Ende blieb das Opfer halb nackt und leblos auf dem Asphalt liegen. „Eine Schande“, empörte sich US-Außenministerin Hillary Clinton. Frauen hätten genauso wie die Männer für die Revolution ihr Leben riskiert. Nun aber würden sie in Ägypten öffentlich erniedrigt und „systematisch von der Macht ausgeschlossen“.

Ein Jahr nach dem Sturz von Hosni Mubarak ist klar: Im post-revolutionären Ägypten sind die Frauen die großen Verlierer. Nächste Woche gibt es die amtliche Bilanz der ersten demokratischen Parlamentswahlen – für die Frauen am Nil wird sie niederschmetternd ausfallen. Höchstens ein Dutzend weibliche Abgeordnete hat es in die neue 498-köpfige Volksvertretung geschafft. Die unter Hosni Mubarak eingeführte Zwölfprozentfrauenquote wurde vom Obersten Militärrat gestrichen. Die Parteien waren lediglich verpflichtet, auf ihren Kandidatenlisten mindestens eine Frau zu nominieren – als Alibi sozusagen. Die extrem konservativen Salafisten weigerten sich sogar, ihre Kandidatin auf Wahlplakaten überhaupt abzubilden. Zu sehen waren nur die bärtigen Bewerber, das Frauenfoto wurde durch eine Blume ersetzt. Auch bei der straff organisierten Muslimbruderschaft, die mit rund 220 Sitzen die mit Abstand stärkste Fraktion der künftigen Volksvertretung stellt, stehen Frauenrechte nicht hoch im Kurs. Ihre Politiker sind konservativ und streng religiös, das Familienbild traditionell, autoritär und patriarchalisch.

Auch in der 100-köpfigen verfassunggebenden Versammlung, die sich Ende Februar aus den Reihen des neu gewählten Parlaments rekrutieren soll, werden Frauen damit praktisch nicht vertreten sein. In der vom Obersten Militärrat ernannten Übergangsregierung finden sich unter den 30 Kabinettsmitgliedern lediglich drei Frauen, weniger als zu Mubaraks Zeiten. Alle 27 Gouverneure sind Männer. Und der neue Präsident, der Ende Juni gewählt werden soll, wird ebenfalls ganz sicher wieder ein Mann.

Bei Demonstrationen werden die Frauen beschimpft, begrapscht, verschleppt und vor den Augen der Soldaten gedemütigt.

Und das, obwohl im Januar und Februar 2011 Zehntausende Frauen Seite an Seite mit den Männern den Arabischen Frühling in Ägypten erkämpft haben, 18 Tage auf dem Tahrir-Platz ausgeharrt, Verwundete versorgt und überall mit angepackt haben. „Wir haben erwartet, dass diese Revolution uns Frauen genauso mit einschließen wird wie die Männer – in puncto Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Doch das ist ganz klar nicht der Fall“, kritisiert Hoda Badran, Vorsitzende der „Allianz für arabische Frauen“ (AAW) und langjährige Diplomatin bei den Vereinten Nationen. Alle wichtigen politischen Entscheidungen in Ägypten gingen nur in eine Richtung: die Frauen von der Macht auszuschließen.

Nach dem „Gender Gap Index“ des Genfer Weltwirtschaftsforums, der Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen bewertet, liegt Ägypten unter 134 untersuchten Nationen auf Rang 125. Bei den meisten anderen arabischen Staaten sieht es nicht besser aus. Spitzenreiter Tunesien landete auf Platz 107. Mehr als 60 Prozent der ägyptischen Männer gaben bei einer repräsentativen Umfrage zu, Frauen sexuell zu belästigen. Die Diskriminierung in der Arbeitswelt ist flächendeckend, die Analphabetenrate deutlich höher, Genitalverstümmelungen sind weit verbreitet, ebenso wie Zwangsheiraten minderjähriger Mädchen auf dem Land.

Schon Wochen nach dem Sturz Mubaraks wurde am 8. März eine Kundgebung zum Internationalen Frauentag auf dem Tahrir-Platz von etwa 200 Männern angegriffen, die Demonstrantinnen beschimpft, begrapscht und verschleppt. Die Armee stand untätig daneben. Erst am Tag darauf schlug sie zu: An gleicher Stelle verhaftete sie demonstrierende Frauen, sperrte sie im Untergeschoss des Ägyptischen Museums ein und unterzog sie vor den Augen feixender Soldaten einem sogenannten „Jungfrauentest“. Nur eines der Opfer, Samira Ibrahim Mohamed, wagte es später, gegen den herrschenden Militärrat Anzeige zu erstatten. Die 25-Jährige möchte erreichen, dass die verantwortlichen Offiziere bestraft werden – und erhält täglich Anrufe, die ihr Mord oder Vergewaltigung androhen. „Die Scharia ist eine Lüge, sie wurde nicht von Gott geschrieben, sondern von Männern“, empört sich die Schriftstellerin Nawal al Saadawi, 80 Jahre alt und die große, einsame Dame des ägyptischen Feminismus. „Wir werden beherrscht von einem patriarchalischen Klassensystem: Die Armee ist Teil davon, die Regierung ist Teil davon – und die Frauen sind ausgeschlossen.“

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