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Straßenkunst in Ramallah.

© dpa

Arafat möglicherweise vergiftet: Palästinenser fordern internationale Untersuchungskommission

Der Bericht der Schweizer Experten über einen möglichen Giftmord am früheren PLO-Chef lässt Fragen offen. Die meisten Palästinenser glauben ohnehin, dass Israels Regierung Arafat ermorden ließ.

Kein Geschrei. Kein Geschimpfe. Keine Drohungen. Und schon gar kein Abbruch der Verhandlungen mit Israel. Der Unmut über die Nachricht, Jassir Arafat könnte womöglich einem Mordanschlag zum Opfer gefallen sein, hält sich bei den Palästinensern in Grenzen. Merkwürdig, möchte man meinen. Der Held von einst mit hochradioaktivem Polonium vergiftet - da müssten sein Volk und vor allem seine Nachfolger auf der Führungsebene der Autonomiebehörde doch außer sich sein. Eigentlich. Für die ungewohnt zurückhaltenden Reaktionen gibt es allerdings mehrere Erklärungen, die eines gemeinsam haben: Sie sind nicht ohne weiteres zur Seite zu wischen.

Die Fragwürdigkeiten beginnen schon beim Gutachten der Schweizer Experten, das unter anderen dem Sender "Al-Jazeera" vorliegt. Mitarbeiter des Instituts für Radiophysik des Universitätsklinikums Lausanne waren - neben Fachleuten aus Frankreich und Russland - vor einem Jahr gebeten worden, Gewebeproben von Arafat zu untersuchen. Am Mittwoch wurde bekannt, dass die Schweizer eine ungewöhnlich hohe Konzentration der Substanz Polonium festgestellt haben. Mit "moderater" Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass Arafat Ziel eines Giftanschlags geworden sei. Was mit "moderat" gemeint war, wurde dann am Donnerstag klar. Die Wissenschaftler betonten, sie könnten weder bestätigen noch ausschließen, dass der PLO-Chef mit dem Stoff getötet wurde. Allerdings unterstützten die Untersuchungsergebnisse nachvollziehbar die These von einer Vergiftung. Eine eindeutige Beweisführung klingt anders.

Ein Führungsmitglied der PLO forderte am Donnerstag zunächst die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission. „Genau wie im Fall des ermordeten früheren libanesischen Regierungschefs Rafik Hariri sollte eine international besetzte Untersuchungskommission gebildet werden, um den Mord an Präsident Arafat aufzuklären“, sagte Wasel Abu Jussef der Nachrichtenagentur AFP. "Die Untersuchungsergebnisse haben bewiesen, dass Arafat mit Polonium vergiftet wurde - und diese Substanz wird von Staaten besessen, nicht von Einzelpersonen“, sagte Jussef in Ramallah im Westjordanland. „Das Verbrechen wurde also von einem Staat begangen." Am Freitag will die von den Palästinensern in Ramallah eingesetzte Untersuchungskommission zum Tode Arafats vor der Presse das weitere Vorgehen erläutern.

Arafats Führungsstil war berüchtigt

In der Tat steht für die meisten Palästinenser ohnehin fest, dass Israel für Arafats Tod 2004 in einem französischen Militärkrankenhaus verantwortlich ist. Aber die Regierenden in Jerusalem streiten nach wie vor vehement ab, damit etwas zu tun zu haben. Israel habe damals überhaupt kein Motiv für einen Mord gehabt, heißt es. Und dafür spricht einiges. Arafat lebte damals, politisch längst geschwächt, in seinem Hauptquartier in Ramallah unter Hausarrest. Vor seiner Tür standen israelische Panzer und Soldaten. Er konnte also dem jüdischen Staat gar nicht mehr richtig gefährlich werden. Warum ihn dann ermorden?

Gründe, den alternden Patriarchen aus dem Weg zu räumen, hatten vielleicht eher Rivalen in den eigenen Reihen. Arafats Führungsstil war berüchtigt. Er ohrfeigte zuweilen Minister und fuchtelte gerne Sicherheitsleuten mit seiner Pistole vor der Nase herum. Zudem hatte die Korruption unter ihm gigantische Ausmaße angenommen. Hilfsgelder in Millionenhöhe sollen auf Arafat-Konten gelandet sein. Beliebt macht man sich damit nicht.

Kein Wunder, dass immer wieder davon die Rede war und ist, der PLO-Führer sei einer Intrige höchster palästinensischer Kreise zum Opfer gefallen. Selbst Arafats Witwe Suha hat es nach Bekanntwerden des Schweizer Berichts tunlichst vermieden, Israel des "Verbrechen des Jahrhunderts" zu bezichtigen. Die Vorsicht lässt sich einfach erklären. Suha Arafat hat immer wieder durchblicken lassen, dass sie von der jetzigen Palästinenserführung wenig hält, aber ihr viel Schlechtes zutraut.

Die Verhandlungen mit Israel laufen gut

Dass die Regierenden um Präsident Mahmud Abbas den Polonium-Befund eher zurückhalten kommentieren, hat noch einen weiteren Grund. Und der hängt mit der Zukunft eines Palästinenserstaates zu tun: Wegen eines nicht bewiesenen Mordes an einem Helden aus grau werdender Vorzeit ist niemand bereit, die derzeit laufenden Verhandlungen mit Israel scheitern zu lassen. Selbst wenn gerade in jüngster Zeit viel über Jerusalems Unnachgiebigkeit geklagt wird, ist den Palästinenser klar, dass die Gespräche eine historische Chance bedeuten.

Unter Vermittlung - und Druck - der Amerikaner stehen die Chancen für eine Einigung dem Vernehmen nach nicht allzu schlecht. Dafür spricht schon allein der Umstand, dass beide Seiten seit Monaten verhandeln, ohne dass über Inhalte etwas nach außen gedrungen ist. Offenbar nehmen Palästinenser wie Israelis die vom US-Sonderbeauftragten Martin Indyk als intensiv beschriebenen Gespräche ernst. Zumindest ernst genug, als sie wegen Jassir Arafats weiterhin mysteriösem Tod abzubrechen.

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