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Politik: Arbeitnehmer und Staat gewinnen

Höhere Mehrwertsteuer, niedrigerer Sozialversicherungsbeitrag: Wie sich das Unions-Modell auswirkt

Berlin - Mehrwertsteuer rauf, Arbeitskosten runter: Das ist der Doppelschritt, mit dem die Union vom 1. Januar 2006 an eine Belebung am Arbeitsmarkt bewirken will. Geringere Arbeitskosten durch eine Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags von 6,5 auf 4,5 Prozent sollen zu mehr Arbeitsplätzen führen. Aufs Ganze gesehen ist dies eine Entlastung um 14 bis 15 Milliarden Euro – je zur Hälfte für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. So die Zahlen, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nennt. Wer also arbeitet und bei der Sozialversicherung gemeldet ist, hat angesichts dieser Senkung um zwei Prozentpunkte ab Januar netto ein Prozent mehr. Das andere Prozent – also bis zu 7,5 Milliarden Euro – kann die Wirtschaft zur Schaffung neuer Stellen einsetzen. Allerdings: Rentner oder Arbeitslose haben von dieser Entlastung nichts und müssen darauf vertrauen, dass durch den erwünschten Beschäftigungseffekt Stellen entstehen oder durch die damit verbesserte Ertragslage der Rentenkasse auch wieder höhere Rentensteigerungen zu finanzieren sind. Das IW nimmt an, dass ein durchschnittlicher Rentnerhaushalt bei der von der Union geplanten Mehrwertsteuererhöhung 14 Euro im Monat mehr ausgeben muss.

Ralph Brügelmann vom IW rechnet vor, dass eine Mehrwertsteuererhöhung um zwei Prozentpunkte dem Staat 16 bis 17 Milliarden Euro bringt – also etwas mehr als die Entlastung bei den Lohnnebenkosten. Die Finanzminister sind damit im ersten Jahr leichte Gewinner. „Nach meiner groben Schätzung ergibt sich für 2006 eine Überfinanzierung zu Gunsten des Staates von einer Milliarde Euro“, sagt Brügelmann.

Natürlich haben Statistiker Modellrechnungen angestellt. Das IW zum Beispiel rechnet vor, dass eine Familie mit zwei Kindern und einem Haushaltseinkommen von 4315 Euro durch eine zweiprozentige Mehrwertsteuer 22,15 Euro mehr ausgeben muss. Die Entlastung durch den geringeren Arbeitslosenversicherungsbeitrag liegt dagegen bei 43,15 Euro. Blieben also 19 Euro für übrig. Bei einem Single mit 2410 Euro im Monat nehmen die IW-Fachleute an, dass er oder sie 10,85 Euro mehr ausgeben muss wegen der höheren Steuer. Die Entlastung beim Sozialbeitrag – ein Prozent des Bruttogehalts – liegt hier bei 24,10 Euro. Ergebnis: 13,25 Euro mehr im Geldbeutel. Brügelmann: „Die Mehrwertsteuererhöhung wird bei allen Arbeitnehmerhaushalten durch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge überkompensiert.“

Doch das sind Durchschnittswerte unter bestimmten Annahmen. Genau lassen sich die Folgen der Unions-Pläne für einzelne Bevölkerungsgruppen nicht berechnen. Denn es ist völlig unklar, wie weit die Mehrwertsteuererhöhung zum Beispiel vom Handel auf die Preise übertragen wird. Da der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent nicht angehoben wird, werden die meisten Lebensmittel nicht teurer, auch Zeitungen nicht und der Eintritt für Schwimmbad oder Kino. Fahrkarten für Bus und Bahn werden weiter nur mit sieben Prozent besteuert. Viele Produkte des Grundbedarfs müssen also nicht teurer werden. Ärmere Schichten, die sich wenig darüber hinaus leisten können, dürften also nicht übermäßig betroffen sein. Und Mieten sind und bleiben steuerfrei. Allerdings könnten sich zum Beispiel Getränke verteuern, die nicht unter den ermäßigten Satz fallen: Die Flasche Bier also ist bald mit 18 Prozent Mehrwertsteuer belegt. Auch Kleider fallen nicht unter den ermäßigten Steuersatz.

IW-Experte Brügelmann rechnet damit, dass bei Produkten des täglichen Bedarfs die Steuererhöhung auf die Preise durchschlagen kann. Doch wird die Preiserhöhung angesichts des Konkurrenzkampfes bei Alltagsprodukten nicht überall gelingen. Und wenn, dann handelt es sich meist um Erhöhungen um wenige Cent. Eine Flasche Wein etwa, die jetzt 5,20 Euro kostet, würde dann 5,30 kosten. Zudem gibt es Produkte, die mit den berühmten 99 Cent hinter dem Komma ausgepreist sind. Hier ist damit zu rechnen, dass die Anbieter den Preis nicht immer erhöhen. Dagegen glaubt Brügelmann, dass bei teuren Produkten und langlebigen Konsumgütern zunächst nicht mit höheren Preisen zu rechnen ist. Denn bei Autos, Kühlschränken oder Fernsehern könnten die Konsumenten den Kauf noch einmal hinausschieben, würden die Händler hier sofort zwei Prozent mehr verlangen.

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