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Andreas Nahles, Bundesarbeitsministerin. Sie wolle die Mindestlohn-Regelungen bis zum Sommer überprüfen, sagte sie dem "Tagesspiegel".

© Davids/Sven Darmer

Arbeitsministerin Andrea Nahles: „Auf den Mindestlohn kann man stolz sein“

Im Tagesspiegel-Interview spricht Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) über Mindestlohn-Kontrollen, neue Arbeitsschutz-Vorgaben - und den richtigen Umgang mit Pegida-Sympathisanten.

Frau Nahles, hat Ihr Friseur wegen des Mindestlohns die Preise angehoben?

Nein, das musste er nicht. Ich habe einen klasse Friseur am Hausvogteiplatz. Der zahlt seinen Mitarbeitern seit Jahren mehr als 8,50 Euro. Aber er profitiert vom Mindestlohn, weil die Möglichkeiten, Dumpingpreise anzubieten, jetzt wegfallen.

Ihr Koalitionspartner kritisiert die Dokumentationspflichten für Arbeitgeber als unverhältnismäßig. Sind Sie bereit, darüber noch einmal zu verhandeln?

Ich habe den Eindruck, wir sollten uns das, was wir gemeinsam beschlossen haben, erst noch einmal ganz in Ruhe anschauen. Die besonderen Aufzeichnungspflichten, über die jetzt alle reden, gelten nur für einen beschränkten Bereich der Wirtschaft, wo es besonders wichtig ist, genau hinzuschauen. Das sind die neun Branchen, die im Schwarzarbeitsgesetz genannt sind. Dieses Gesetz gibt es seit Jahren. Und diese Branchen werden auch seit Jahren vom Zoll kontrolliert, ob sie ihre Mitarbeiter ordentlich angemeldet haben. Das ist alles nichts Neues. Der einzige Bereich, der neu hinzugekommen ist, sind die Minijobs – nur die gewerblichen, nicht die in Privathaushalten. Das ist der Bereich, in dem der Mindestlohn am dringendsten gebraucht wurde. Und er kann da nur funktionieren, wenn er auch kontrolliert werden kann.

Ein hoher Aufwand für die Betriebe...

Der Aufwand ist überschaubar. Die Arbeitgeber müssen ja nur Anfang, Dauer und Ende der Arbeitszeit erfassen. Gerne auch handschriftlich, ohne besondere formale Vorschriften. Es müssen noch nicht einmal Pausen aufgeschrieben werden. Jeder Handwerker tut das für seine Rechnung ohnehin. Und schon das Arbeitszeitgesetz verlangt Dokumentation.

Was bringen solche Nachweise? Wer betrügen will, kann sie doch auch fälschen.

Das ist wie überall im Leben natürlich nicht ausgeschlossen. Aber es ist für die Arbeitnehmer schon ein gutes Stück mehr Sicherheit, wenn sie ihre Arbeitsleistung dokumentiert bekommen. Und auch für viele Arbeitgeber sind Arbeitszeitaufzeichnungen doch absoluter Alltag. Eine ordentliche Arbeitszeitdokumentation erspart allen am Ende viel Ärger, wenn der Zoll sich die Daten genauer anschauen muss und die Mitarbeiter befragt.

Hat der Zoll denn genügend Personal, um den Mindestlohn zu kontrollieren?

Wir haben 1600 neue Stellen zugesagt. In diesem Jahr werden erst mal 320 Mitarbeiter zusätzlich eingestellt, in den nächsten Jahren wird dann weiter aufgestockt.

Finanzminister Schäuble hat den Umfang der Kontrollen durch den Zoll jetzt schon wieder infrage gestellt, um mehr Geld für Terrorabwehr zu haben. Beharren Sie auf Ihrem Personal?

Da gilt dasselbe wie beim Aufschreiben der Stunden: Ein Mindestlohn ohne die Möglichkeit, nachzuschauen, ob er auch gezahlt wird, ist wenig wert: für die Beschäftigten und für die ehrlichen Unternehmen. Wir haben die zusätzlichen Kräfte aus guten Gründen fest vereinbart.

Die Union will die Aufzeichnungspflichten gelockert und das Gesetz in drei Monaten geprüft haben. Droht ein Koalitionskrach?

Wir haben den Mindestlohn im Koalitionsvertrag vereinbart, wir haben ihn in der Koalition intensiv diskutiert, und er gilt jetzt seit genau einem Monat. Die ersten Lohnabrechnungen werden gerade erst gemacht. SPD und Union haben zusammen eine der größten Sozialreformen der Geschichte auf den Weg gebracht. Durch den Mindestlohn erhalten 3,7 Millionen Menschen in Deutschland mehr Lohn. Viele können dadurch aus der Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen rauskommen. Das ist keine Kleinigkeit. Darauf kann man stolz sein und sollte sich nicht vom ersten Gegenwind verunsichern lassen.

Aber macht es nicht dennoch Sinn, in drei Monaten zu schauen, ob es irgendwo hakt?

Ich halte mehr Zeit für erforderlich, um den Mindestlohn seriös zu evaluieren. Und die werde ich mir auch nehmen. Aber ich habe bereits jetzt damit begonnen, Arbeitgeber und Gewerkschaften in bestimmten Branchen sowie Verbandsvertreter einzuladen, um mit ihnen über die ersten Erfahrungen und praktische Fragen zu sprechen. Ich werde hart und ganz pragmatisch dafür arbeiten, dass der Mindestlohn ein Erfolg wird. Natürlich werde ich bis zum Sommer selbst dafür sorgen, dass wir einen ehrlichen Überblick haben. Schwierige Punkte werde ich dabei nicht ausklammern.

Wo gibt es denn Probleme?

Es gibt offensichtlich noch manche Unsicherheit bei der Frage, wie in Sportvereinen mit dem Mindestlohn umzugehen ist. Denn beim Ehrenamt gilt er nicht, bei Beschäftigung schon. Deshalb habe ich den Deutschen Fußballverband und den Deutschen Olympischen Sportbund eingeladen, um gemeinsam nach Lösungswegen zu suchen. Das Gespräch mit dem DFB ist auch schon vereinbart.

Gibt es Hinweise, dass viele Arbeitgeber, den Mindestlohn zu umgehen versuchen ?

Bisher sind mir keine konkreten Verstöße bekannt. Bei unserer Mindestlohn-Hotline haben sich Anfang Januar, also in den letzten vier Wochen, 12 000 Leute gemeldet. Zwei Drittel der Anrufer sind Arbeitgeber, die Fragen zum Mindestlohn haben. Viele wissen zum Beispiel nicht, dass Akkordprämien oder Schichtzulagen nicht als Lohnbestandteil zu werten sind und deshalb zusätzlich zum Mindestlohn gezahlt werden müssen. Mein Eindruck ist: Die meisten Arbeitgeber, die anrufen, wollen es richtig machen.

Warum muten Sie den Arbeitgebern, die sich schon über den Mindestlohn ärgern, jetzt auch noch weitere Bürokratie durch eine neue Arbeitsstättenverordnung zu?

Man kann natürlich jetzt alles, was das Arbeitsministerium tut, als bürokratische Belastung bezeichnen – das scheint ja gut in die Zeit zu passen. Man kann darin aber auch einfach weiter ein Zeichen sehen, dass wir den Arbeitsschutz und die Gesundheit der Beschäftigten in Deutschland ernstnehmen. Deutschland gehört zu den Ländern, wo es weltweit die wenigsten tödlichen Arbeitsunfälle gibt. Und gesunde, motivierte Mitarbeiter sind auch im Interesse der Unternehmen.

Die Arbeitgeber wehren sich gegen ein in ihren Augen unsinniges Klein-Klein. Etwa, dass die Politik ihnen nun verschließbare Kleidungsspinde vorschreiben will.

Dass man seine Kleidung in der Firma irgendwo unterbringen können muss, ist eine EU-Vorschrift. Und was die abschließbaren Spinde betrifft: Ich finde das zwar nicht dumm, aber es war nicht meine Idee. Der Wunsch kam vom Freistaat Sachsen. Und die Mehrheit im Bundesrat hat dem zugestimmt.

Und die Vorschrift, im Home-Office vor Computertastaturen genug Platz zum Auflegen der Handflächen vorzuhalten?

Diese Vorschrift gibt es seit 15 Jahren. Was wir getan haben, ist, die bestehende Bildschirmarbeitsverordnung in die Arbeitsstättenverordnung zu integrieren. Wir haben also aus zwei Verordnungen eine gemacht. Ich nenne das Bürokratieabbau. Übrigens: Der Gesprächsfaden mit den Arbeitgebern besteht weiter.

Finden Sie es richtig oder falsch, wenn Politiker mit Pegida-Anhängern sprechen, wie Ihr Parteichef Sigmar Gabriel? Die SPD hat da offenbar ja keine einheitliche Linie.

Wir sind uns völlig einig, dass man sich mit den Organisatoren nicht treffen sollte – aber das scheint sich jetzt ja durch deren Rücktritte sowieso erledigt zu haben ...

Manche spotten ja, die Organisatoren seien wegen Gabriels Begegnung mit Pegida- Sympathisanten zurückgetreten ...

(lacht) Na also, da kann man dann doch nur beide Daumen in die Luft strecken. Aber im Ernst: Als Generalsekretärin habe ich im letzten Wahlkampf den Bürgerdialog organisiert, also nahe dran zu sein an den Menschen, für die wir Politik machen. Natürlich muss man auch mit denen reden, die eine andere Meinung haben. Ich finde aber, dass man dann diejenigen genauso wertschätzen und bedenken sollte, die sich jeden Montag in Gegendemonstrationen klar zu unseren Grundwerten bekennen. Eine Gruppe, die mit der Religionsfreiheit, der Pressefreiheit und teilweise auch mit Artikel eins unserer Verfassung derart Probleme hat wie Pegida, darf nicht zu viel Aufmerksamkeit erfahren.

Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich sagt, der Islam gehöre nicht zu Sachsen ...

Das ist nicht in Ordnung. Nach dem Bekenntnis der Bundeskanzlerin, dass der Islam zu Deutschland gehört, versucht Tillich, Sachsen zu einer Art Paralleluniversum zu deklarieren. Das ist doch nicht stimmig. Hier muss ja wohl offensichtlich die Union mal ihre Position klären.

Das Interview führten Cordula Eubel und Rainer Woratschka.

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