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Frauen in Buenos Aires reagieren entsetzt auf die Entscheidung, dass Abtreibungen verboten bleiben.

© Eitan Abramovich/AFP

Argentinien, Mexiko, Brasilien und Chile: Lateinamerikas Frauen kämpfen gegen Abtreibungsverbot

In Lateinamerika gelten die strengsten Abtreibungsverbote der Welt. Mit oft tödlichen Folgen. Dagegen wehrt sich nun vor allem die junge Generation.

„Das Gesetz ist nicht vom Tisch“, sagte Argentiniens Ex-Präsidentin und heutige Senatorin Cristina Kirchner nach der Niederlage. „Es kommt nächstes Jahr oder übernächstes.“ Der argentinische Senat hatte kurz zuvor die Legalisierung der Abtreibung abgelehnt. Vorausgegangen war eine 16-stündige leidenschaftliche Debatte, die weniger entlang von Parteigrenzen verlief als vielmehr den Gegensatz zwischen progressiven Städten und konservativen Provinzen verdeutlichte. Tausende Befürworter und Gegner des Vorhabens verfolgten trotz winterlicher Temperaturen die Debatte auf der Straße in Buenos Aires. Es wird nun erwartet, dass die Befürworter der Legalisierung das Vorhaben 2019 erneut auf die Tagesordnung setzen. Im Abgeordnetenhaus hatten sie bereits im Juni einen knappen Sieg errungen. Sie glauben das Momentum auf ihrer Seite.

Als Reaktion auf die gescheiterte Gesetzesinitiative für eine Liberalisierung der Abtreibungsregeln will Argentiniens Präsident Mauricio Macri zudem kostenlose Verhütungsmittel verteilen lassen. Wie örtliche Medien berichteten, sollen die Verteilaktionen in von Teenager-Schwangerschaften besonders betroffenen Armenvierteln erfolgen. Außerdem sei eine Reform der Sexualerziehung geplant.

Die Bewegung „Ni Una Menos“ trieb die Proteste voran

Es ist vor allem der Bewegung „Ni Una Menos“ („Nicht Eine Weniger“) zu verdanken, dass die Diskussion im katholischen Argentinien so weit gedieh. Die Organisation protestiert seit 2015 gegen Gewalt gegen Frauen. Sie schrieb bald auch die Legalisierung der Abtreibung auf ihre Fahnen. Tausende Frauen schlossen sich der Bewegung an, zu deren Symbol ein grünes Tuch wurde. Die Größe ihrer Demonstrationen überraschte viele Beobachter. Gleichzeitig formierte sich der Widerstand auf dem Land, angeführt von katholischen und evangelikalen Gruppen.

Im Rest Lateinamerikas verfolgte man die Auseinandersetzung aufmerksam. Es hätte große Symbolwirkung gehabt, wenn die Abtreibung im Heimatland des Papstes legalisiert worden wäre. Papst Franziskus hat sich gegen eine Lockerung des Verbots ausgesprochen. Er verglich die Abtreibung – eher unsachlich – mit der Rassenhygiene der Nazis.

Viele Gesetze in Lateinamerika sind sehr alt

Insgesamt betrachtet hat Lateinamerika die strengsten Abtreibungsregeln der Welt. In den meisten Ländern ist ein Schwangerschaftsabbruch lediglich nach einer Vergewaltigung oder Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt. Ausnahmen existieren auch für den Fall einer schweren Hirnmissbildung des Embryos. In Nicaragua, El Salvador, Honduras und der Dominikanischen Republik ist die Abtreibung komplett verboten.

Viele Abtreibungsgesetze in Lateinamerika sind sehr alt, stammen noch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Den Frauen, die sie missachten, werden mehrjährige Gefängnisstrafen angedroht. Einzig im traditionell liberalen Uruguay, im sozialistischen Kuba und in Guyana dürfen Frauen frei über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Auch in Mexiko-Stadt ist die Abtreibung legal, in anderen Bundesstaaten Mexikos jedoch nicht.

Dass die Frage nun in mehreren Ländern der Region diskutiert wird, hat einerseits damit zu tun, dass eine neue Generation von Frauen mehr Rechte fordert. Sie ist durch das Internet und Reisen ins Ausland weltoffener geworden. Andererseits werden die fürchterlichen Folgen der Abtreibungsverbote immer deutlicher.

500.000 Brasilianerinnen treiben jährlich illegal ab

Denn Lateinamerikas Frauen treiben ab – egal ob es dem Staat passt oder nicht. Das Guttmacher Institute, das zu Sexualität forscht, schätzt, dass 97 Prozent aller Lateinamerikanerinnen in einem Land mit strengen Abtreibungsgesetzen leben. Dennoch seien zwischen 2010 und 2014 ein Drittel aller Schwangerschaften per Abtreibung beendet worden: rund 6,5 Millionen.

In Brasilien, mit Abstand bevölkerungsreichstes Land der Region, begann vor wenigen Tagen eine Anhörung zur Abtreibung vor dem Obersten Gerichtshof. Dabei kamen horrende Statistiken ans Licht. Eine halbe Million Brasilianerinnen treibe demnach jährlich illegal ab, sagten Vertreter des Gesundheitsministeriums. Die Mehrheit sei schwarz, arm und habe bereits Kinder. Jeden zweiten Tag sterbe eine von ihnen, weil sie sich giftige Substanzen einführe oder mit gefährlichen Gegenständen hantiere. Rund 250.000 Frauen würden deswegen jedes Jahr ins Krankenhaus eingeliefert.

Reiche Frauen zahlen, arme Frauen sterben

Wohlhabendere Frauen haben andere Möglichkeiten. Im Internet können sie das teure und verbotene Medikament Cytotec bestellen. Oder sie lassen für umgerechnet 750 Euro in einer geheimen Klinik abtreiben. Nicht umsonst heißt es in Brasilien: Reiche Frauen zahlen, arme Frauen sterben. Befürworter einer Legalisierung argumentieren daher, dass das Verbot kontraproduktiv ist. Es führe nicht dazu, dass weniger abgetrieben werde oder Leben gerettet würden, sondern es koste Leben.

Wie in Brasilien ist auch in Chile zuletzt Bewegung in die Debatte gekommen. Ex-Präsidentin Michele Bachelet rang dem Kongress 2017 eine Zustimmung zur Abtreibung im gewissen Fällen ab. Vergangenen Monat demonstrierten Tausende Menschen in Santiago de Chile für eine weitere Liberalisierung. Viele trugen die grünen Tücher der Frauenbewegung aus Argentinien.

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