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Politik: Arm zu sein bedarf es wenig

KINDER UND ALTE

Von Antje Sirleschtov

Kinderarmut? Jahrzehntelang hat das Land über Altersarmut geklagt. Doch jetzt propagiert die Regierung den Kinderzuschlag. 140 Euro soll es geben, zunächst für 150 000 arme Kinder. Die Zahl, die jetzt durch die Nachrichten geht, macht allen ein schlechtes Gewissen, die sich über den Urlaub oder das neue Auto freuen: Mitten unter uns leben eine Million unschuldige Kleine von Sozialhilfe – 150 Euro im Monat. Da muss die Politik doch eingreifen. Solche Hilfe wirkt fast befreiend nach all den Monaten, in denen die Politik den Bürgern immer nur Verzicht gepredigt hat.

Der Kern der Botschaft ist jedoch beschämend. Fünfzig Jahre lang haben die Menschen in harter Arbeit dieses Land aufgebaut, es reich gemacht; ihren Kindern sollte es einmal besser gehen als ihnen selbst. Nun müssen sie erkennen, dass noch viel mehr als diese eine Million junger Menschen nicht an ihrem Wohlstand teilhaben. Nicht nur heute, sondern wohl auch morgen. Weil ihre Eltern keine Arbeit finden oder keiner nachgehen können, ohne die Kinder unversorgt zu Hause lassen zu müssen. Und weil diese – armen – Kinder die geringsten Chancen auf einen guten Schulabschluss und einen Ausbildungsplatz haben.

Mittlerweile haben alle Parteien das Problem erkannt. Nach der PisaBlamage werben alle für bessere Schulen. Zur ersten Verantwortungsträger-Pflicht gehört es in diesen Tagen, sich um Ausbildungsplätze zu kümmern. Und die Familienpolitiker diskutieren über wirkungsvolle Instrumente gegen die Kinderarmut.

Nur das Gespräch über den eigentlichen Konflikt wird vermieden: die Debatte über Generationengerechtigkeit. Wie ist es dazu gekommen, dass wir es heute kaum noch mit Altersarmut, dafür aber sehr massiv mit Kinderarmut zu tun haben? Diese Auseinandersetzung ist schmerzhaft. Weil sich viele an die erschütternden Berichte ihrer Eltern und Großeltern über deren Entbehrungen in der Nachkriegszeit erinnern. Haben die Jüngeren das Recht, von ihnen erneut Verzicht zu verlangen? Sie haben die heutige Erwerbsgeneration aufgezogen, das Ersparte mit ihr geteilt und oft ansehnliche Erbschaften hinterlassen. Auch deshalb scheut die jüngere Generation diesen Konflikt. Und versteckt sich statt dessen in den alten Kampflinien ihrer Eltern: sozialer Ausgleich durch gerechtere Verteilung des Volksvermögens. So wie früher sollen eben die jeweiligen Reichen noch mehr bluten, damit man es den jeweiligen Armen geben kann.

Aber diese Fehden wirken ziemlich gestrig. Alle spüren doch, dass es in Zukunft immer weniger Geld zu verteilen gibt. Schon heute geht fast die Hälfte dessen, was Bürger und Unternehmen dem Staat in Form von Steuern und Sozialabgaben geben, für die Bezahlung von Schulden, Pensionen und Rechtsansprüchen drauf. Der Zuwachs an Wohlstand wird künftig viel geringer ausfallen als früher.

Warum also sollten die Jungen jetzt nicht aufbegehren? Sie müssen die Renten- und Pensionsansprüche ihrer Eltern finanzieren, selbst privat vorsorgen und für die Sicherung ihrer Gesundheit einstehen. Die heutigen Rentner sind – bis auf eine kleine Minderheit – nicht arm, sondern befinden sich im oberen sozialen Mittelfeld: mit durchschnittlich 130 000 Euro Vermögen, viele mit eigener Wohnung oder Haus. Altersarmut ist eine Randerscheinung geworden.

Es geht weder um Neid noch darum, den Alten ihre Renten zu nehmen oder ihnen teure Operationen zu verwehren. Sondern darum, für die nächstjüngere Generation die Freiheit einzufordern, die auch die heutigen Senioren sich nahmen: eine Gesellschaft gestalten zu können, in der es den Kindern einmal besser gehen wird als einem selbst.

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