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Demo gegen die Armenien-Resolution des Bundestages.

© dpa

Armenien-Resolution: Akt der Selbstbehauptung des Bundestages

Es ist Aufgabe des Bundestages zu definieren, wann ein Massaker ein Völkermord ist. Deshalb ist die Verabschiedung der Armenien-Resolution so wichtig wie richtig. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Bei den Demonstrationen türkischer Gruppen gegen die Armenien-Resolution des Bundestages war ein bemerkenswerter Spruch zu lesen: „Der Bundestag ist nicht zuständig!“ Wie viele politische Kurzschlüsse leuchtet auch der auf den ersten Blick ein. Wirklich, was geht denn Abgeordnete in Berlin die völkerrechtliche Bewertung eines Vorgangs an, der hinten, fern in der Türkei vor 101 Jahren stattfand?! Ist das nicht Anmaßung, typisch deutsch, zum Zweck, die Türkei zu maßregeln?

Die Parlamente als gewählte Vertreter des Volkes sind fürs Völkerrecht zuständig

Aber wie viele sofort einleuchtende Sätze ist eben auch dieser ein Kurzschluss. Erst umgekehrt stimmt er: Wen, wenn nicht die Parlamente als die gewählten Vertretungen der Völker, ginge das Völkerrecht etwas an? Man muss dazu gar nicht daran erinnern, dass das Kaiserreich als enger Verbündeter des Osmanischen Reichs von den Massakern an den Armeniern wusste, die, weil ein historisch belegter politischer Vernichtungswille dahinter stand, einen Völkermord zu nennen überfällig ist.
Nein, das deutsche Parlament hätte auch ohne diese Verkopplung alles Recht und alle Pflicht der Welt, sich ein Urteil zu bilden. Das Völkerrecht ist ein sensibles Gebilde, ständig bedroht von tagespolitischen Relativierungen und Rücksichtnahmen. Es taugt immer nur so viel, wie die Völker es stützen. Wann ein Mord ein Mord ist, definiert das Parlament als Gesetzgeber; wann ein Massaker ein Völkermord ist, definieren die Parlamente als Träger und Teil der Völkergemeinschaft. Der Massenmord an den Herero und Nama durch das gleiche Kaiserreich war von dieser Gemeinschaft übrigens längst ebenso als Völkermord benannt, bevor sich die Bundesrepublik vor fast genau einem Jahr – blamabel spät – dazu bekannte.

Der Selbstbehauptungsakt war jetzt alternativlos

Das Problem der Armenien-Resolution, hier und heute, liegt an ganz anderer Stelle. Vor einem Jahr hat sich der Bundestag aus außenpolitischer Rücksichtnahme nicht getraut, diesen Beschluss zu fassen. Damals hätte der Kalender relativ unverfänglichen Anlass geboten mit dem 100. Jahrestag.
Diesmal gäbe es für außenpolitische Rücksichtnahme noch viel bessere Gründe: Nicht allein auf einen wichtigen Nato-Partner in einer heißen Krisenregion, in der hundert Jahre alte Geschichten immer noch und immer wieder die Gegenwart bestimmen, sondern eben auch auf einen Vertragspartner in Flüchtlingsfragen. So einen verärgert man nicht ohne Not.

Dass Kanzlerin, Vizekanzler und Außenminister die Abstimmung im Reichstag schwänzten, ist verständlich als Signal nach Ankara, dass es eben nicht um den Versuch geht, den schwierigen Partner geschichtspolitisch Mores zu lehren.

Der Bundestag ist wieder mit sich im Reinen

Das Problem liegt darin, dass der Selbstbehauptungsakt des deutschen Bundestages diesmal so alternativlos war. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als das vor einem Jahr Versäumte nachzuholen. Sonst drohte unvermeidlich die Verböhmermannisierung – der Vorwurf, vor dem Stirnrunzeln des Autokraten in Ankara zu kuschen. Für das Völkerrecht ist das alles egal. Es verbucht eine gewichtige Stimme mehr, die seine Prinzipien hochhält. Und der deutsche Bundestag ist wieder mit sich im Reinen. Nur zum Schulterklopfen in eigener Sache taugt der Fall eher nicht.

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