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Ashot Smbatyan ist seit 2015 Botschafter Armeniens in Deutschland.

©  Thilo Rückeis

Armenischer Botschafter im Interview: "Wir sind auf dem Weg zu einer Demokratie"

Ashot Smbatyan über die Kultur und Geschichte Armeniens, schwierige Nachbarn und warum Waffengewalt keine Lösung ist.

Herr Botschafter Smbatyan, Armenien unterhält in diesem Jahr seit 25 Jahren diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland. Wie haben sich diese Beziehungen entwickelt?

Deutschland war einer der ersten Staaten der Welt, die die Unabhängigkeit Armeniens anerkannt und 1992 eine Botschaft in Armenien eröffnet haben. Die Republik Armenien hat ihre Botschaft dann 1994 in Bonn eröffnet. Die Beziehungen haben sich stetig weiterentwickelt.

Welche Rolle spielt Deutschland für Sie als Partner?

Deutschland ist sowohl bilateral als auch multilateral ein wichtiger Partner für Armenien, weil es eine der tragenden Säulen der Europäischen Union ist. Seit seiner Unabhängigkeit ist Armenien sehr an guten Beziehungen zur EU interessiert. Vor Kurzem haben wir ein weiteres Rahmenabkommen über die erweiterte Zusammenarbeit mit der EU paraphiert, das bis Ende des Jahres unterzeichnet wird.

Wie entwickeln sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern?

Armenien hat grundsätzlich die rechtlichen Rahmenbedingungen für ausländische Investoren von Jahr zu Jahr verbessert. Viele Gesetze sind mit Hilfe der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Anm. d. Red.) neu verfasst und europäischen Standards angepasst worden. Dies bietet ausländischen Investoren eine sichere Rechtsgrundlage. Somit bieten sich in Armenien vielfältige Möglichkeiten für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit. So kommt zum Beispiel einer der größten ausländischen Investoren in Armenien aus Deutschland. An dieser Stelle möchte ich auch den Tourismus hervorheben, der sich in den letzten Jahren gut entwickelt hat.

Armenien verfügt über eine boomende IT-Branche. Wie ist es dazu gekommen?

Bereits zur Sowjetzeit wurde in Armenien großes Augenmerk auf Bildung, Kunst und Kultur gelegt. Darin begründet sich auch der Platz Armeniens unter den fortschrittlichen Ländern der Welt. Unsere geopolitische und geografische Lage ist nach dem Zerfall der Sowjetunion leider sehr speziell. Wir werden von zwei Nachbarländern (gemeint sind die Türkei und Aserbaidschan, Anm. d. Red.) blockiert; die Transportwege sind entsprechend sehr kompliziert. Also versuchen wir unser hohes Bildungsniveau zu nutzen und uns auf Branchen zu konzentrieren, die weniger stark vom Transport abhängig sind. Da ist IT natürlich hervorragend und wird entsprechend entwickelt. Im Februar dieses Jahres führten wir mit Unterstützung des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft und anderer Partner ein deutsch-armenisches Wirtschaftsforum in Berlin durch. Der Hauptakzent des Forums war die Zusammenarbeit in der IT-Branche. Im Bereich der erneuerbaren Energien haben sich die Ergebnisse des Forums bereits erfolgbringend ausgewirkt.

Ihr Nachbar Türkei schickt sich an, das Parlament zu entmachten und den Präsidenten zu stärken. Armenien hat sich für den umgekehrten Weg entschieden. Nun gibt es Stimmen, die dem amtierenden Präsidenten nach dem jüngsten Wahlsieg seiner Partei unterstellen, er werde nach seiner Amtszeit 2018 als Ministerpräsident kandidieren – so wie in Russland. Was sagen Sie dazu?

Die letzten Parlamentswahlen waren die ersten nach der Verfassungsänderung vom Dezember 2015. Es gab zuerst ein Referendum. Erst nach dem Volksentscheid wurde die neue Verfassung genehmigt. Und wenn sich Länder wie unseres auf dem Weg zu einer Demokratie eine neue Verfassung geben, wird diese von der Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht – eine Einrichtung des Europarates, die Staaten verfassungsrechtlich berät, Anm. d. Red.) bestätigt. Diese Kommission hat unsere Verfassung geprüft und bestätigt. Wir befinden uns zurzeit in der Transformationsphase vom präsidialen zum parlamentarischen Regierungssystem. Das ist der demokratische Weg, den mein Land gewählt hat und unbeirrt in Richtung der europäischen Wertegemeinschaft beschreiten wird.

"Das Volk von Berg-Karabach muss über seine Zukunft entscheiden"

Ashot Smbatyan ist seit 2015 Botschafter Armeniens in Deutschland.
Ashot Smbatyan ist seit 2015 Botschafter Armeniens in Deutschland.

©  Thilo Rückeis

Wie ist Ihr Verhältnis zur OSZE? Es gab ja durchaus kritische Berichte wegen der Wahl, aber auch Hinweise, dass diese alles in allem gut verlaufen sei.

Die OSZE ist für Armenien ein wichtiges Gremium, schon wegen seiner Sicherheitsplattform. Bei aller Kritik an der OSZE, die ich nicht teile, ist gerade in unserer Region die Rolle der OSZE äußerst wichtig. Was die Beurteilung von Wahlen durch internationale Akteure betrifft, würde ich empfehlen, den Bericht der EU zu lesen und dabei nicht zu vergessen, dass wir uns noch nicht mit Ländern wie Deutschland oder Schweden vergleichen können.

Wie kann der Konflikt um Berg-Karabach gelöst werden?

Es wäre konstruktiv, wenn die aserbaidschanische Seite sich bewegen und den Vorschlägen der Ko-Vorsitzenden der Minsker Gruppe, die das Mandat zur Beilegung des Konfliktes haben, zustimmen würde. Ich rede hier nicht von der armenischen Position, sondern davon, was die Minsker Gruppe der OSZE den beteiligten Seiten vorgeschlagen hat. Ich spreche hier von den sogenannten Madrider Prinzipien, die von den beteiligten Seiten anerkannt worden sind. Wir haben bei vielen Konflikten in der Welt gesehen, dass es nur einen Weg gibt: dass man nicht über Berg-Karabach, sondern mit Berg-Karabach sprechen muss. Hier geht es nicht um eine territoriale Angelegenheit, sondern um Menschenrechte, um das Recht der Bevölkerung von Berg-Karabach. Die Bevölkerung von Berg-Karabach muss die Möglichkeit haben, durch ein Referendum zu entscheiden, wie sie ihre Zukunft sieht. Sobald die aserbaidschanische Führung das Thema aus dieser Sicht betrachtet, können Sie davon ausgehen, dass der Konflikt gelöst wird. Denn eines ist sicher: Eine Lösung mit Waffengewalt ist keine Lösung.

Armenien ist ein treuer Verbündeter Russlands und arbeitet gleichzeitig in Nato-Strukturen unter deutschem Kommando in Afghanistan. Wie passt das zusammen?

Armenien ist als Mitglied der internationalen Gemeinschaft in allen internationalen Gremien aktiv. Damit wollen wir betonen, dass wir uns dort, wo es um Friedensmissionen geht, auch beteiligen – trotz unserer engen strategischen Partnerschaft mit Russland. Das schätzt die Nato, und die Zusammenarbeit läuft gut. Im Kosovo unter amerikanischem Kommando, in Afghanistan unter deutschem Kommando und im Libanon mit einem UN-Mandat unter italienischem Kommando

Wo sehen Sie Ihr Land in 25 Jahren?

Ich bin kein Prophet, aber optimistisch. Unser Land wird sich auf dem eingeschlagenen Weg weiterentwickeln. Wir werden gute politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten haben. Auch in der Türkei wird es eine politische Führung geben, die die historischen Ereignisse von 1915 anerkannt haben wird, und in den Lehrbüchern wird diese Erinnerung wachgehalten, damit es nie wieder zu solchem Völkermord kommen kann. Um die Zukunft besser meistern zu können, müssen wir unsere Geschichte kennen. Ich wünsche mir, dass wir auch in 25 Jahren noch das offene und vielfältige Land von heute sind, dass wir weiterhin stolz auf unsere reiche Kultur, Geschichte und unser menschliches Potenzial sein können. Und vor allem, dass in unserer Region alle Völker friedlich und selbstbestimmt zusammenleben können.

Das Gespräch führte Rolf Brockschmidt.

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