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Politik: Armut aus der Steckdose

Die Strompreise steigen – die Opposition sieht die Schuld bei der Regierung, die Unternehmen entlaste und Verbraucher belaste.

Berlin - Die steigenden Strompreise bringen offenbar immer mehr Verbraucher in die Klemme.Nach Angaben der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen kämpfen inzwischen zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung damit, ihre Energiekosten zu finanzieren. Und wegen offener Rechnungen werde jährlich 600 000 Haushalten der Strom abgedreht.

Früher sei „Energiearmut“ ein Randphänomen gewesen, „doch mittlerweile ist es für viele ein Alltagsproblem geworden“, sagte der Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Klaus Müller, der „Welt am Sonntag“. Der Fraktionsvize der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch, nannte diese Entwicklung unerträglich. „Wir können nicht hinnehmen, dass in Deutschland die Zahl der Vermögensmillionäre kontinuierlich steigt und gleichzeitig anderen, weil sie nicht genügend Geld haben, der Strom abgeschaltet wird“, sagte er dem Tagesspiegel. Ein Grundkontingent an Energie müsse allen zur Verfügung stehen, „jeder hat ein Anrecht auf die Versorgung mit Energie, Wasser, Infrastruktur und Kultur“.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, sagte, die Bundesregierung habe „die soziale Dimension der Energiewende nicht im Blick“. Bei niedrigen Einkommen schlügen die steigenden Stromkosten „voll durch“. Tatsächlich geht der Anstieg nach Expertenangaben weiter. Seit Januar hätten 420 Grundversorger ihre Preise im Schnitt um 3,5 Prozent erhöht, meldete das Verbraucherportal Toptarif. Je nach Haushaltsgröße bedeute das eine jährliche Mehrbelastung von 20 bis 60 Euro, mancherorts sogar von mehr als 150 Euro. Im Mai und Juni werde sich der Strom bei 30 Unternehmen um 4,9 Prozent verteuern.

Doch schon in den Jahren zuvor kannte der Strompreis nur eine Richtung: nach oben. 2005 lag er im Schnitt noch bei 18,2 Cent pro Kilowattstunde. Derzeit sind es je nach Anbieter rund 26 Cent. Bei einem Vier-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden können folglich mehr als 1000 Euro pro Jahr an Stromkosten anfallen. Für den Anstieg verantwortlich ist aber nicht primär die Förderung erneuerbarer Energien, wie oft behauptet wird. Diese über den Strompreis zu zahlende Umlage ist in den vergangenen zwölf Jahren deutlich geringer gestiegen als der Strompreis. Und die Beschaffungskosten für Strom sind – trotz Ausstiegs aus der Kernenergie – sogar gesunken. Allerdings entfällt fast die Hälfte des Strompreises auf staatliche Abgaben: Mehrwertsteuer, Ökostrom-Umlage, Konzessionsabgabe, Stromsteuer.

Verantwortlich für den aktuellen Anstieg sind vor allem deutlich höhere Netznutzungskosten sowie neue Befreiungsregelungen etwa bei den Netzentgelten für Firmen mit hohem Stromverbrauch.Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, gibt der Regierung denn auch die Schuld an der Misere für Geringverdiener. „Schwarz-Gelb hat stromintensive Betriebe bei den Netzentgelten massiv entlastet“, sagte sie der „Welt am Sonntag“. Dieser Einnahmeausfall treibe die Kosten für Verbraucher und Mittelstand in die Höhe. „Hier werden soziale Schieflagen bewusst organisiert.“

Der FDP-Spitzenkandidat in NRW, Christian Lindner, warf der CDU vor, das Problem steigender Energiekosten kleinzureden. Damit Strom bezahlbar bleibe, brauche es neue Kohle- und Gaskraftwerke sowie eine dauerhafte Kontrolle der Wirkung des Erneuerbare-Energien- Gesetzes, sagte er. raw/dpa

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