zum Hauptinhalt
Bettelarm. In Athen reicht es bei einigen nicht mal für das Nötigste.

© dpa

Armut in Griechenland: Kein Arztbesuch, kein frisches Gemüse: Wie Familien unter der Krise leiden

Die Krise hat sie mitgenommen - finanziell und mental. Viele griechische Familien haben inzwischen alles verloren. Nur mit fremder Hilfe kommen sie überhaupt noch über die Runden.

Von Katrin Schulze

Den meisten bleiben wenigstens die Träume. Davon, dass es besser werden wird. Irgendwann. Dimitris Tzouras aber hat nicht einmal mehr das. „Wovon soll ich noch träumen?“, sagt er. „Da gibt es nichts mehr.“ Aus der Hoffnung ist bei dem 55 Jahre alten Griechen zunehmend Verbitterung geworden, weil er so ziemlich alles verloren hat: seinen Job, sein ganzes Geld, die Versicherungen – und seinen Glauben an die Politik. Nur seinen Verstand noch nicht.

Damit ist er in guter griechischer Gesellschaft. Während alle darüber reden, wie der Staat seine nächsten Raten zahlen und wann er denn nun wirklich pleite sein wird, wären viele Menschen im Land schon froh, wenn sie wüssten, woher sie das Geld für ihren nächsten Einkauf nehmen sollen. Und pleite sind sie schon lange. Bei Dimitris Tzouras ging es im Jahr 2011 los, da verlor er seinen Job als Versicherungsmakler – und damit auch jede soziale Absicherung. „30 Jahre lang habe ich gearbeitet und Krankenkassenbeiträge bezahlt. Und auf einmal habe ich nichts davon“, sagt er. Weil er selbstständig war, bekam er nicht mal das eine Jahr Arbeitslosengeld, das Angestellten in Griechenland zusteht.

Anfangs, als sein Vater noch lebte, hat dieser ihn unterstützt. Danach hat sich Tzouras auch von seinem Stolz verabschiedet und die SOS-Kinderdörfer weltweit um Hilfe gebeten. Es ging nicht mehr anders. Seither erhalten seine Frau und sein siebenjähriger Sohn von dem Familienstärkungsprogramm der Organisation einmal im Monat Essen, Kleidung und auch mentale Unterstützung. Bis auf ihr Haus im Athener Stadtteil Kipseli ist ihnen nicht viel geblieben. Vorbei ist es mit dem Mittelschichtsleben, mit den vielen Ausflügen, die sie früher machten, mit der Unbeschwertheit. „Früher musste ich niemanden fragen, ich konnte für alles selbst sorgen“, sagt Tzouras. Jetzt sei er von jedem und allem abhängig. „Dafür schäme ich mich.“

Das kommt Giorgos Protopapas bekannt vor – von all den anderen Familien, die inzwischen Hilfe benötigen. „Die ökonomischen Verluste gehen oft auch mit einem Verlust des Selbstbewusstseins einher“, sagt der Leiter der SOS-Kinderdörfer in Griechenland. „Oft resultieren daraus weitere Probleme wie Alkoholmissbrauch oder Depressionen.“ Vor ein paar Jahren unterhielten die SOS-Kinderdörfer in ganz Griechenland zwei Sozialzentren, inzwischen wurde das siebte aufgemacht. An die 6000 Familien haben sich in den zurückliegenden drei Jahren dorthin gewandt. Weil die Finanz- und Schuldenkrise des Landes eben auch und vor allem eine soziale Krise im Land ist.

Für Arztbesuche reicht es nicht

Da braucht man sich nur die Statistiken anzuschauen. Zwischen 2008 und 2014 stieg die Arbeitslosenquote von 7,3 auf 26,6 Prozent. Die Steuerbelastung für die ärmeren Haushalte wuchs nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung im gleichen Zeitraum um ganze 337 Prozent an. So kommt es, dass jeder dritte Grieche seine Miete oder Hypothek nicht mehr zahlen und sich nicht einmal alle zwei Tage eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder frischem Gemüse leisten kann.

Die Hypothek, die Dimitris Tzouras vor Jahren aufgenommen hat, um das baufällige Haus seiner Eltern zu renovieren, kann er nicht mehr bedienen. Wie auch? Es reicht ja nicht mal für die nötigen medizinischen Behandlungen, denn auch krankenversichert ist er wie so viele Griechen nicht. Wenn er seine Geschichte erzählt, hier in der Sozialstation mitten im Zentrum Athens, kann er seine vielen Lücken zwischen den Zähnen nicht verbergen. Gäbe es dieses Detail nicht, man sähe ihm die Krise nicht an. Mit seinem Poloshirt, dem ergrautem Schopf und dem Dreitagebart wirkt er smart und weiß genau, was er sagen möchte und worüber er lieber schweigt.

Die Athener Familie Tzouras hat wenigstens ihr Haus behalten, Kleider und Lebensmittel bekommt sie von den SOS-Kinderdörfern weltweit.
Die Athener Familie Tzouras hat wenigstens ihr Haus behalten, Kleider und Lebensmittel bekommt sie von den SOS-Kinderdörfern weltweit.

© promo

Nur ganz selten, wenn Tzouras ins Reden kommt, kann er seine Wut schwer bändigen. Dann regt er sich über die korrupten Politiker auf, die alle gleich seien, und darüber, wie die Griechen in Europa dastehen. „Wir sind keine Faulenzer und keine Diebe“, sagt Dimitris Tzouras. Im Gegenteil. „Viele sehen nicht, wie hart wir arbeiten.“ Er zum Beispiel würde mittlerweile so ziemlich jeden Job annehmen, aber etwas zu finden, sei aussichtslos.

An dem Ruf der Griechen sind deutsche Politiker nicht ganz unschuldig. Selbst hochrangige Unionspolitiker hatten den angeblich „faulen Griechen“ zumindest eine Mitschuld an ihrer jetzigen Situation gegeben. Nikos Xydakis hat das noch immer nicht verziehen. „Wolfgang Schäuble benimmt sich gegenüber einem Partnerland wie ein Oberlehrer“, sagt der Kultur- und Bildungsminister von der linken Syriza-Partei in seinem Büro. „Er vereint Europa nicht, er trennt es.“ Und dann sagt er noch, dass es doch Schäuble gewesen sei, der angefangen habe mit den Zankereien. Er habe darauf nur eine entsprechende Antwort gegeben.

Verlorene Zukunft

Gemeint ist sein Spruch über Schäuble als „Anführer des Vierten Reichs“, mit dem es Xydakis auch außerhalb seines Landes zu einiger Berühmtheit gebracht hat. Über den deutschen Finanzminister kann sich der Grieche ärgern, regelrecht zornig wird er, wenn es um eine andere Institution geht, die eigentlich zur Rettung der Griechen auserkoren wurde. „Würde die Troika akzeptieren, dass unsere humanitäre Lage katastrophal ist, müsste sie zugeben, dass das gesamte Rettungsprogramm falsch gelaufen ist. Von Anfang an“, sagt er. Schließlich habe man es hier mit Massenarmut zu tun.

Xydakis kennt den früheren Versicherungskaufmann Dimitris Tzouras nicht, seine Nöte aber würde er verstehen. Auch seine Frau, die als Erzieherin arbeitete, fand nach der Geburt des Jungen keinen Job mehr. Immerhin 40 Euro Kindergeld zahlt der Staat im Monat. Für alles andere springen Verwandte ein – oder eben die SOS-Kinderdörfer. Die Stunden bei der Logopädin etwa, die der kleine Yannis benötigt, übernimmt ebenfalls die Organisation. Die Spenden für solche Dinge kommen im Gegensatz zu früher inzwischen größtenteils aus dem Ausland.

Mit ihnen schafft die Organisation die wichtigsten Lebensmittel an, die sie im Sozialzentrum unten im Keller bunkert. Auch ein paar Spielsachen liegen dort herum, Yannis trifft sich öfter mit anderen Kindern in einem Raum in einer oberen Etage zum Spielen. Für die Eltern gibt es außerdem alle zwei Wochen eine Beratungsstunde. Ein festes Ritual, ein bisschen Sicherheit in all der Unsicherheit. Yannis, der schmächtige Erstklässler mit der Brille, ist dann meist das Hauptthema. Wie sollen ihm seine Eltern nur den Glauben an eine bessere Zukunft vermitteln, wenn sie diesen selbst nicht haben? Dass sich langfristig für ihn selbst etwas ändert, daran glaubt Dimitris Tzouras nicht. „Ich bin auch nicht so wichtig“, sagt er. Aber sein Junge! Nicht, dass auch er aufhört zu träumen. Noch bevor er erwachsen wurde.

Die Autorin reiste auf Einladung der SOS-Kinderdörfer nach Athen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false