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Frau von der Leyen samt Bericht.

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Update

Armutsbericht: Von der Leyen wehrt sich gegen Vorwurf der Schönfärberei

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen sieht Deutschland im Kampf gegen die Armut auf einem erfolgreichen Weg. Den Vorwurf, dass der Bericht geschönt sei, wies sie zurück. Genervt ist sie von der Debatte trotzdem.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht Deutschland im Kampf gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Einkommensungleichheit auf einem erfolgreichen Weg. "Wir stehen heute im internationalen Vergleich sehr gut da", sagte von der
Leyen am Mittwoch bei der Vorlage des aktuellen Armuts- und Reichtumsberichts. Sie wehrte sich gegen den Vorwurf, der Bericht sei auf Druck von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler geschönt worden. "Ressortabstimmung ist seit 60 Jahren etwas völlig normales", sagte von der Leyen. Sie verwies darauf, dass der Satz „Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt“, der in der ursprünglichen Version des Berichts stand, auch im nun vorgelegten Bericht auftauche. Dort heißt es jetzt in Bezug auf zuvor aufgeführte Werte zur Vermögensverteilung: "Hinter diesen Durchschnittswerten steht eine sehr ungleiche Verteilung der Privatvermögen."

Von der Leyen betonte, dass sich die Einkommensschere nicht weiter geöffnet habe. "Am aktuellen Rand 2011", wie von der Leyen sagte, schließe sie sich sogar. Das seien Zahlen, die erst nach Anfertigung des Entwurfs gekommen seien und das müsse man eben berücksichtigen. Deshalb hieß es in der ursprünglichen Version auch noch, dass die Einkommensspreizung auseinander gehe, nun heißt es, sie gehe zurück. Grund dafür seien mehr Menschen in Arbeit und höhere Tarifabschlüsse.

Umstritten war auch der Satz im ursprünglichen Entwurf: "Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken." Etwas später heißt es dann, das dies das "Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung" verletze. Von der Leyen konnte zunächst nicht sagen, ob dieses Verletzen des Gerechtigkeitsempfinden in der aktuellen Version noch enthalten ist. Durchsucht man den Bericht jedoch, findet man den Begriff nicht mehr (hier geht es zum Download des Berichts als pdf). Von der Leyen sagte aber: "Der Satz stimmt nach wie vor und ist richtig." Allerdings müsse man eben sehen, dass die Spreizung im Jahr 2011 nicht mehr zugenommen habe.

Von der Leyen kritisierte die Debatte um die "Ressortabstimmung" bei diesem Bericht. "Ich habe mir akribisch angesehen, welche Sätze, die weggefallen seien, die Opposition kritisiert. Vieles davon steht aber in dem bericht und deshalb sind die Vorwürfe dünn." So sei auch die Tatsache, dass 2010 mehr als vier Millionen Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro arbeiteten weiter enthalten - allerdings nur in einer Tabelle, nicht als formulierter Satz. Allerdings fügte von der Leyen auch hinzu: "Die Debatte war aber nicht gut, weil sie vom Inhalt des Berichts abgelenkt hat."

Von der Leyen zog insgesamt eine positive Bilanz. Im Bereich der Einkommensverteilung befinde man sich auf Augenhöhe mit Frankreich und den Niederlanden und über dem OECD-Durchschnitt, aber deutlich hinter Skandinavien. "Armut lässt sich am besten durch Arbeit bekämpfen", sagte von der Leyen. Und die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt seien positiv, wenngleich es bestimmte Bereiche gebe, auf denen noch einiges zu tun sei.

Das neue Motto müsste lauten: "Raus aus der Teilzeitfalle".

Als Beispiele führte die Bundesarbeitsministerin die Erwerbssituation von Frauen auf. Dort müsse das Motto lauten: "Raus aus der Teilzeitfalle". Denn die Zahl der Frauen in Erwerbstätigkeit habe zwar in den vergangenen Jahren zugenommen, allerdings vor allem in Teilzeitarbeit und da komme man schwer nur wieder heraus in eine Vollzeitbeschäftigung. Außerdem müsse man sich die Situation von langzeitarbeitslosen Jugendlichen im Alter von 25 bis 35 Jahren genauer anschauen. Die Entwicklung in diesem Bereich sei anders als in den restlichen Altersklassen nicht sehr gut.

Die Zahl der atypischen Arbeitsverhältnisse, also Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse oder Mini-Jobs, habe nach den Reformen der Agenda 2010 zugenommen, aber seit etwa 2007 gebe es nur noch "Seitwärtsbewegungen", erklärte von der Leyen. Das heißt, diese Arbeitsverhältnisse steigen nicht weiter an - gehen aber auch nicht zurück.

Der 548 Seiten starke Report trägt den Titel „Lebenslagen in Deutschland“ und erscheint zum vierten Mal.

Auch Rösler wehrte sich gegen den Vorwurf der "Schönfärberei". "Ich halte das schlichtweg für Wahlkampfrhetorik", sagte er in München. Jeder wisse, dass es Deutschland so gut gehe, wie schon lange nicht mehr. Das zeigten auch die guten Arbeitsmarkt- und Wachstumszahlen. Dies müsse auch dargestellt werden.

Nahles: "Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist eine plumpe Fälschung."

Die Opposition hielt ihre Kritik aber aufrecht. "Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist eine plumpe Fälschung. Zentrale Passagen wurden gestrichen: dass Privatvermögen ungleich verteilt ist, dass die unteren Lohngruppen weniger in der Tasche haben und dies das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung verletzt. Ihre eigenen Berichte kann die Bundesregierung fälschen, die Realität nicht. Und die sieht aus, wie im ursprünglichen Entwurf des Berichts treffend beschrieben", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles.

Grünen-Chef Cem Özdemir sprach sich dafür aus, den Bericht künftig von unabhängigen Experten erstellen zu lassen. „Wissenschaftler sollen - so wie beim Sachverständigenrat - ein Gutachten vorlegen über Armuts- und Reichtumsverteilung in dieser Gesellschaft“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“ des ZDF. „Dann haben wir diesen unwürdigen Streit nicht.“

Arme werden immer ärmer, Reiche immer reicher. Eine Erkenntnis, die im neuen Regierungsreport so nicht mehr zu finden ist.
Arme werden immer ärmer, Reiche immer reicher. Eine Erkenntnis, die im neuen Regierungsreport so nicht mehr zu finden ist.

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Für DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach ist der Armutsbericht „ein Armutszeugnis der Bundesregierung“. Obwohl die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen sei, gebe es mehr Armut in Deutschland, sagte Buntenbach. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht in dem Vorgang eine „peinliche Hofberichterstattung“ und forderte ebenfalls eine unabhängigen Expertenkommission.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt verteidigte die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Über ihn hätten „immer mehr Langzeitarbeitslose den Weg zurück in Beschäftigung gefunden“. „Wir brauchen einen funktionierenden Niedriglohnsektor“, sagte er dem SWR.

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