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Politik: „Arzneigläubigkeit abbauen“

Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe über die Reformen im Gesundheitswesen

Die Mediziner protestieren gegen das Arzneispargesetz. Was ist denn schlecht daran, dass Patienten für günstigere Arznei von Zuzahlungen befreit werden?

Was wir schlecht finden, ist die Verquickung der Patientenversorgung mit persönlichen Vor- und Nachteilen für die Ärzte. Solche Verquickungen haben wir gerade in unserer Berufsordnung auszuschließen versucht, mit neuen Regeln für den Umgang mit der Pharmaindustrie. Nun macht es der Staat auf anderem Wege wieder. Was die Patienten betrifft: Ich hoffe, sie sind auch einsichtig, wenn ihnen der Arzt trotz Zuzahlung rät, nicht das billigste und damit womöglich schlechtere Arzneimittel zu nehmen. Wenn der Patient dann trotzdem anders entscheidet, bleibt das Vertrauensverhältnis zum Arzt davon natürlich nicht unberührt.

Wo kann denn im System gespart werden, wenn nicht bei den Arzneikosten?

Richtig ist: Deutschland ist ein Hochpreisland bei Arzneimitteln. Im Ausland kriegt man vieles günstiger. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Manches mag auch in unserer Verordnungskultur liegen. Wir sollten überlegen, ob man nicht mit weniger auskommen könnte.

Sie empfehlen den Ärzten, sparsamer zu verordnen? Da wird sich Ulla Schmidt aber freuen …

Nicht sparsamer. Was die Verwendung von Generika (billige Nachahmerpräparate, Anm. d. Red.) angeht, sind wir Spitzenreiter in der Welt. Es ist längst allgemeiner Usus, das zu verordnen, was am günstigsten auf dem Markt ist. Aber man müsste die Arzneigläubigkeit, die in Deutschland sehr hoch ist, abbauen – bei Patienten wie bei Ärzten. Das geht freilich nicht von heute auf morgen.

Wem geht es denn schlechter in Ihren Augen: den niedergelassenen Ärzten oder den Klinikärzten?

In beiden Bereichen haben sich die Arbeitsbedingungen kontinuierlich verschlechtert. Die Krankenhausärzte arbeiten seit geraumer Zeit mit einer hohen Zahl häufig unbezahlter Überstunden und haben jede Menge Bürokratie am Hals, sie sind aber in ihrer Therapiefreiheit nicht so eingeengt. Die niedergelassenen Ärzte haben so knappe Mittel, dass sie bei der Behandlung die jeweiligen Patientenschicksale gegeneinander abwägen müssen. Sie müssen dauernd Rationierungsentscheidungen treffen: Welcher Patient braucht mehr, von wessen Budget lässt sich das abzweigen? Außerdem haben sie erhebliche Einbrüche bei den Honoraren zu verkraften, weil der versprochene Punktwert von 5,11 Cent bei den Abrechnungen fast nirgendwo mehr eingehalten wird. In manchen Bereichen liegt er schon unter zwei Cent.

Sollten sich die niedergelassenen Mediziner am Kampfeswillen der Krankenhausärzte orientieren?

Das ist bereits geschehen. Die Streiks der Klinikärzte waren auch das Signal für die niedergelassenen Ärzte, dass sie sich aus der Deckung trauen und sich nicht wie Maulwürfe mit ihrem ganzen Leid in eine Ecke vergraben müssen. Nun demonstrieren sie öffentlich und zeigen, dass es so nicht mehr weitergeht.

Beim Ärztetag beschäftigen Sie sich mit der Gesundheitsversorgung in Europa. Wo ist es denn besser als in Deutschland? In England gibt es ja Riesenprobleme, weil die Ärzte zu hoch bezahlt werden.

Ich würde mich selber nach wie vor am ehesten in Deutschland behandeln lassen. Allerdings ist es unerträglich, dass diejenigen, die hier Leistungen erbringen, ein Drittel dieser Leistungen nicht bezahlt bekommen und damit das System subventionieren. Die Engländer beispielsweise müssen nun teuer dafür bezahlen, dass sie in der Vergangenheit gespart und die Zahl der Ärzte klein gehalten haben. Das möchte ich in Deutschland nicht haben. Unser System ist nicht kaputt, aber es ist in der Gefahr, ähnlich marodiert zu werden, wie das in England und anderen Ländern geschehen ist.

Was müsste am dringlichsten geschehen bei einer Gesundheitsreform?

Erstens müssen die Leistungserbringer mehr Freiheit erhalten. Zweitens muss die ganze misstrauensbedingte Bürokratie dezimiert werden, damit die Ärzte wieder mehr Zeit für ihre Patienten haben. Und drittens muss die Finanzierungsstruktur erneuert werden. Lohnabhängige Arbeit allein kann das System nicht mehr finanzieren. Die Finanzierung muss aber gesichert sein. Sonst wäre eine deutliche Einschränkung des Leistungsumfangs die Folge. So wie bisher kann es jedenfalls nicht weitergehen.

Ist die Tatsache, dass die Reform jetzt von einer großen Koalition angegangen wird, eher hilfreich oder erschwerend?

Im Moment ist das ziemlich egal, weil das Thema Gesundheit ja stark bei der SPD verankert ist und das Ministerium fast genauso aussieht wie vor der Wahl. Deshalb macht dieses Ministerium auch die Politik, die es in der rot-grünen Ära gemacht hat. Bis auf ein paar kleine Retuschen hat der jetzige Koalitionspartner daran nichts geändert. Wir sind sehr gespannt, ob sich bei den Eckpunkten der Reform ein Wandel abzeichnet.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

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