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Auf Pfleger im Altenheim angewiesen.

© dpa

Arztbehandlung im Heim: Ab ins Krankenhaus

Pflegeheimbewohner bekommen meist keine ausreichende Behandlung von Fachärzten. Stattdessen werden Patienten in die Notaufnahmen von Kliniken geschickt, wo sie oft stundenlang warten müssen. Das könnte sich nun ändern.

Ob Urologe, Augenarzt oder Nervendoktor: Ausgerechnet diejenigen, die solche Spezialisten am dringendsten benötigen, bekommen sie kaum zu Gesicht. „Wer in einem Pflegeheim lebt, ist de facto von fachärztlicher Versorgung ausgeschlossen“, sagt Axel Schroeder, der Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Urologen und Vize-Vorsitzende des Spitzenverbands der Fachärzte Deutschlands. Er möchte, dass sich die medizinische Versorgung für die 750000 Heimbewohner in Deutschland verbessert. Und, wie es scheint, will das nun auch der Gesetzgeber.

Bis Ende des Jahres sollen Versicherer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung einen Rahmen für entsprechende Verträge zwischen Heimträgern und Fachärzten ausgehandelt haben. So steht es in Hermann Gröhes Entwurf für ein Hospiz- und Palliativgesetz, das im Herbst verabschiedet werden soll. Die Beteiligten müssen also Tempo machen, nach jahrelangem Nichtstun. Dabei wissen Kranken- und Pflegeversicherung seit langem um die Versorgungslücke. Die Praxen niedergelassener Fachärzte sind überlaufen, insbesondere in ländlichen Regionen.

Die Mediziner machen keine Visiten, weil die aufwändig sind, es in den Heimen oft keine Behandlungsräume gibt und sich ein „Außendienst“ für sie finanziell nicht lohnt. Für Bringdienste, die sich mit pflegebedürftigen Patienten ins Wartezimmer setzen, haben die Einrichtungen nicht genug Personal. Und wenn es gar nicht mehr geht, heißt es eben: Ab ins Krankenhaus. „Je unqualifizierter das Pflegepersonal, desto öfter kommt es zu Klinikeinweisungen“, sagt Schroeder. Vor allem nachts und am Wochenende schnellten die Zahlen in die Höhe. Das kostet dann nicht nur. Für die zerbrechlichen und oft geistig verwirrten Menschen ist es auch enorm belastend, stundenlang in einer Notaufnahme zu warten und sich in fremder Umgebung zu orientieren.

Die meisten dieser Verlegungen wären vermeidbar, behauptet der Verbandspräsident. Zum Beleg genügt ein Blick in die Fallstatistik seines Fachgebiets. Bei 70 Prozent aller Heimbewohner funktioniert die Blase nicht mehr richtig. Sie sind inkontinent, benötigen Windeln oder Katheter. Bei den Demenzkranken habe dieses Problem im Prinzip jeder, sagt Schroeder. Dauerkatheter müssen in der Regel alle vier Wochen gewechselt werden. Und allein deshalb werden, wie eine bundesweite Umfrage für 2012 belegt, mehr als die Hälfte der Betroffenen vom Heim ins Krankenhaus verlegt.

Vorbild: Zahnärzte

Um zu zeigen, dass es auch anders geht, hat Schroeders Urologen-Verband ein Heimarztkonzept erarbeitet. Es sieht Verträge zwischen Medizinern, Patienten und Heimen vor, die folgendes garantieren: Die Fachärzte kommen mindestens einmal pro Quartal ins Haus, das Pflegepersonal wird von ihnen geschult, die Mediziner befinden sich in Rufbereitschaft, kein Heimbewohner kommt mehr ohne Rücksprache mit ihnen ins Krankenhaus. Für all das gibt es finanzielle Vergütungen. Dass solche Vernetzung auf Vertragsbasis funktioniert, haben die Zahnärzte bewiesen. Seit April 2014 gibt es zwischen Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung (KZBV) und dem Spitzenverband der gesetzlichen Kassen eine Rahmenvereinbarung zur Versorgung von Heiminsassen. Sie ermöglicht es Vertragszahnärzten, mit Pflegeheimen Kooperationsverträge zu schließen.

Das habe viel bewirkt, berichtet KZBV-Sprecher Kai Fortelka. Bundesweit gebe es inzwischen mehr als 2000 solcher Vereinbarungen. Fast 17 Prozent aller Einrichtungen hätten so bereits die zahnmedizinische Versorgung ihrer Bewohner gesichert, bei „weiter stark steigender Tendenz“, sagt Fortelka. Mit dem Umzug ins Heim verlören viele Menschen den Kontakt zu ihren Medizinern, sagt Schroeder. Was mit langjährigen Hausärzten noch halbwegs funktioniere, gelinge mit Fachärzten oft gar nicht mehr. Dabei gehe es auch hier oft nur um eine Art Grundversorgung. Da muss die Sehschärfe getestet, der Gehörgang gespült oder, damit gezielte Förderung möglich ist, auch mal wieder das aktuelle Stadium der Demenz ausgelotet werden.

Wenn aus der Kann-Bestimmung zur Ermöglichung von Heimarztverträgen nun eine Vorschrift wird, könnte das vielen Pflegebedürftigen das Leben erleichtern. Trotzdem hat es die Regelung weder in die Pflegereform des Gesundheitsministers noch in dessen Versorgungsstärkungsgesetz geschafft hat. Weder Pflegekassen noch Krankenversicherer fühlen sich also für die Behebung des Versorgungsdefizits zuständig. Ein Glück, dass noch ein weiteres Gesetz speziell für die Menschen am Lebensende vorhanden war. Sobald es eine Leistungsbeschreibung mit den dazugehörigen Abrechnungsziffern gebe, sagt der Verbandsvize, „können wir loslegen“.

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