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Syrische Armeeeinheiten sind in Dschisr al-Schogur einmarschiert.

© AFP

Update

Assad bekämpft eigenes Volk: Syrische Truppen marschieren in Protesthochburg ein

Ein Ort in Syrien hat den geballten Zorn des Regimes auf sich gezogen. Am Sonntag schickte Staatschef Assad eine Strafexpedition in die Kleinstadt Dschisr al-Schogur. Inzwischen vermelden die Staatsmedien, dass die "Ordnung wiederhergestellt" sei.

Syrische Truppen haben nach Angaben der Staatsmedien in der Kleinstadt Dschisr al-Schogur „Ruhe und Ordnung wiederhergestellt“. Zuvor hätten Armee-Einheiten den Ort im Nordwesten des Landes „von bewaffneten terroristischen Banden gesäubert, die die Bewohner terrorisierten, öffentliches und privates Eigentum angriffen und Chaos über die Stadt brachten“, hieß es in einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Sana vom Montag.

Nach tagelanger Belagerung waren syrische Truppen am Sonntag in die nordwestliche Kleinstadt Dschisr al-Schogur einmarschiert. Rund 200 Panzer seien an der Operation beteiligt, berichteten syrische Oppositionelle. Hubschrauber kreisten über dem Ort. Die Streitkräfte, die von Süden und Osten vorrückten, nahmen die Kleinstadt mit Artillerie unter Beschuss. Es war der bisher massivste Militäreinsatz des Assad-Regimes gegen das eigene Volk.

Nach ersten Berichten staatlicher syrischer Medien wurden bei den "schweren Zusammenstößen" zwei Angehörige "bewaffneter Gruppen" getötet und zahlreiche weitere festgenommen. Auch ein Soldat der Regierungstruppen kam dabei ums Leben, vier weitere wurden verletzt. Am Sonntagabend meldete das Staatsfernsehen, die Armee habe Dschisr al-Schogur unter ihre Kontrolle gebracht. Die Armeeverbände hätten "bewaffnete Elemente" in die umliegenden Berge vertrieben.

Truppen finden angeblich Massengrab

Nach Angaben der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana fanden die einrückenden Truppen beim Sitz der örtlichen Geheimpolizei ein "Massengrab". Aus diesem seien zehn verstümmelte Leichen geborgen worden, die sterblichen Überreste von Polizisten und Soldaten, die angeblich von "terroristischen Gruppen" getötet wurden.

Der massive Angriff auf Dschisr al-Schogur war bereits im Vorfeld mit Anschuldigungen der staatlichen Medien begründet worden, "bewaffnete Banden" hätten dort am vergangenen Wochenende 120 Angehörige der Sicherheitskräfte umgebracht. Bewohner aus dem Ort berichteten wiederum, unter Angehörigen von Militär und Geheimdiensten sei es zu einer heftigen Schießerei gekommen, weil einige von ihnen die brutale Vorgehensweise gegen unbewaffnete Demonstranten nicht mehr weiter billigen wollten. Überprüfen lässt sich keine der Darstellungen, weil die Regierung Journalisten im Land nicht unabhängig arbeiten lässt.

Demonstranten verlangen Ende des Militäreinsatzes

Es ist die bislang schwerste Eskalation, seit im März Hunderttausende Syrer friedlich für politische Reformen zu demonstrieren begannen. Am Sonntag gab es zahlreiche Solidaritätskundgebungen in anderen Städten. Von Aktivisten ins Internet gestellte Videos zeigten eine Demonstration in Aleppo, der zweitgrößten Stadt des Landes. Dort verlangten die Teilnehmer das unverzügliche Ende des Militäreinsatzes in Dschisr al-Schogur. Seit fast drei Monaten lässt das Regime von Präsident Baschar al-Assad die Kundgebungen immer wieder blutig niederschlagen. Nach Angaben syrischer Menschenrechtler starben bislang rund 1300 Menschen.

Experten schließen aber dennoch nicht aus, dass die Revolte in der nordwestlichen Provinz Idlib zunehmend auch einen bewaffneten Charakter annimmt. Desertierende Soldaten könnten demnach Schutz bei Bewohnern gesucht und sich mit diesen verbrüdert haben. Staatliche Medien berichteten von Sprengfallen und Minen, die die Truppen beim Eindringen in den Ort entfernen mussten. Rund 5000 Bewohner waren schon zuvor über die nahe Grenze in die Türkei geflohen.

Am Sonntag kamen weitere Menschen über die Grenze, wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Sie werden in Zeltstädten des Türkischen Roten Halbmondes untergebracht. Die türkische Regierung hat mehrfach versichert, dass sie die Grenze zu Syrien nicht schließen wird.

Die USA prangerten das brutale Vorgehen gegen Regimegegner in Syrien an. Zugleich forderten sie Präsident Assad auf, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) "sofortigen und ungehinderten Zugang" zu Kampfgebieten in Nordsyrien zu gewähren, um Verletzten, Gefangenen und Flüchtlingen helfen zu können.

Westerwelle fordert Reaktion des UN-Sicherheitsrates

Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte: "Ich verurteile das Vorgehen der syrischen Führung im Norden des Landes. Durch die Gewalt und den Einsatz schwerer Waffen droht eine humanitäre Krise." Die gefährliche Situation mache eine klare Reaktion des UN-Sicherheitsrates um so dringlicher. "Unsere politischen und diplomatischen Anstrengungen bleiben darauf gerichtet, dass die von uns mit eingebrachte Resolution so schnell wie möglich verabschiedet wird", hieß es in der vom Auswärtigen Amt verbreiteten Mitteilung.

Ägypten erklärte unterdessen, es wolle einen von der Europäischen Union angestrebten Beschluss des Weltsicherheitsrates gegen das syrische Regime abwenden. Kairo arbeite "hinter den Kulissen" daran, um stattdessen in Damaskus zu erwirken, dass es einem Besuch eines "westlichen" Sondergesandten zustimmt, sagte der ägyptische Außenminister Nabil al-Arabi der arabischen Tageszeitung "Al-Hayat". (dpa/AFP)

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