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Willkommen in Deutschland. In Ellwangen in Baden-Württemberg soll eine alte Kaserne für Asylbewerber umgebaut werden. Bei einer Informationsveranstaltung Anfang Oktober solidarisierten sich viele Bürger mit den Flüchtlingen.

© p-a

Asylbewerber: Neues deutsches Großmutstreben

Die Deutschen sind plötzlich richtig nett zu den Flüchtlingen, die hier leben. Unsere Kolumnistin Barbara John überlegt, woher dieser Sinneswandel kommen könnte.

Wer, wenn nicht wir, soll denn den Flüchtlingen zur Seite stehen? Das rief kürzlich die Bürgervorsitzende eines Kölner Villenviertels, als die Stadt erklärte, Container für Asylbewerber im teuren Stadtviertel aufstellen zu wollen. Hört, hört! Gibt es einen Stimmungswandel in Deutschland oder war das nur eine vereinzelte Stimme? Doch ihr wurde begeistert applaudiert, wie es heißt. Auch in Berlin und in anderen Städten bilden sich um neue Flüchtlingsheime, neben anfänglich kleinen Protestzellen, schnell größere Unterstützergruppen, die oft für Deutschunterricht und Kinderbetreuung sorgen. Wo ist das Unbehagen in Deutschland geblieben, die anschwellende Zuwanderung könnte das Wohlstandsparadies gefährden? Vor gut zwanzig Jahren schien genau das die verbreitete Angst gewesen zu sein. So kam 1993 auch die Asylrechtsänderung. Ist die neue Hilfsbereitschaft nur eine Momentaufnahme, setzt sich die Angst bald wieder durch?

Wer sich als europäischer Wohlstandschampion fühlt, dem ist "Das-Boot-ist-voll-Rhetorik " zu piefig

Warten wir’s gelassen ab, denn inzwischen hat sich einiges grundlegend geändert. Eine wichtige Entwicklung ist, dass sich die Deutschen heute gut finden, sie mögen sich. Nicht, weil sie Deutsche sind oder die meisten Asylbewerber europaweit aufnehmen, sondern, weil sie wer sind in Europa, nämlich die wirtschaftlichen Champions, trotz aller Armutsklagen. Wer täglich international bescheinigt bekommt, wohlhabend zu sein, der kann nicht gleichzeitig vom Tod Bedrohten die Tür vor der Nase zuschlagen. Wie fühlte man sich denn dann? Total kleinlich, piefig!

Barbara John, Tagesspiegel-Kolumnistin und frühere Ausländer-Beauftragte des Berliner Senats.
Barbara John, Tagesspiegel-Kolumnistin und frühere Ausländer-Beauftragte des Berliner Senats.

© dpa

Klar, als persönliche und politische Haltung gibt es das auch noch, aber nicht so verbreitet wie kurz nach der Wende. Die neue Großmut gilt vor allem den Menschen, die durch Ausreise und Flucht buchstäblich Leib und Leben retten können, in erster Linie also den Syrern. Für Armutsflüchtlinge oder schon Gerettete in Italien hat man längst nicht so viel übrig. Falsch? Richtig? Das Asylrecht gibt diese Grundorientierung vor. Bei starker, unkontrollierbar scheinender Einwanderung könnte die Stimmung auch wieder kippen. Doch wenn Politik und Behörden asylpolitisch klug handeln, vor allem auch die Anwohner von Unterkünften ernst nehmen mit ihren Anliegen, dann könnte der neue Trend sich weiter einbürgern.

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