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Asylbewerber: Vom großen Gefängnis ins kleine

Iranische Asylbewerber demonstrieren seit Wochen in Würzburg gegen ihre Isolierung in Lagern.

Würzburg - Der Polizeiwagen steht immer da, Tag und Nacht, nur 20 Meter von dem kleinen Zelt in der Würzburger Innenstadt entfernt. Ab und zu kommt ein Beamter vorbei und fragt, ob alles in Ordnung ist. Für Mohammad Kalali klingt diese Frage manchmal wie Hohn. „Ich warte schon so lange auf das Papier, das über mein Leben entscheidet“, sagt der 33-jährige iranische Asylbewerber in gebrochenem Deutsch. „Wir wollen eine Antwort, aber sie kommt nicht.“

Werden die Männer in Deutschland anerkannt – oder müssen sie zurück in ihre Heimat? Weil sich die Asylverfahren über Monate und Jahre hinziehen und weil sie mit ihrer Behandlung in Bayern nicht einverstanden sind, haben sich iranische Flüchtlinge schon Mitte März dieses Jahres zu einer sehr unüblichen Form des Protestes entschlossen: Sie campieren in Würzburg auf zentralen Plätzen, mittlerweile seit 112 Tagen. Doch nicht nur das. Es folgten Hungerstreik, Trinkstreik, sie haben sich die Münder zugenäht. Die Aktionen der Iraner im Freistaat sind auch eine Geschichte von wachsender Verzweiflung, von Radikalisierung und Eskalation.

In ganz Deutschland wurden die Fotos gedruckt: junge Männer mit geschlossenem Mund, zwischen Ober- und Unterlippe sind dünne Fäden zu sehen. Es passt gerade mal ein Strohhalm dazwischen, um etwas Wasser zu trinken. Seit dem 4. Juni hatten sich vier der Iraner für diesen drastischen Protest entschieden, erst Ende vergangener Woche haben alle wieder die Lippen geöffnet. Denn einigen von ihnen wurde gesagt, dass sie in den nächsten Tagen mit Entscheidungen über ihre Asylanträge rechnen können. Die Nähnadel-Aktion aber stieß auch bei jenen auf Kritik, die es mit den Männern gut meinen. „Ich habe das komplett abgelehnt“, erzählt Matthias Grünberg, ein Grüner aus Würzburg, der sich für Flüchtlinge einsetzt. Erst am Tag nach der Lippenöffnung besuchte er sie wieder am Zelt, das auf dem Marktplatz ein wenig abseits steht, direkt vor der weiß-roten Marienkapelle.

Grünberg und die anderen machen sich vor allem um Mohammad Kalali große Sorgen. Er erhielt immer noch keine Mitteilung, dass eine Entscheidung bald ansteht. Insgesamt hat er 60 Tage gehungert und mehrere Tage nichts getrunken. Der 1,78 Meter große Mann hat 13 Kilogramm abgenommen, jetzt wiegt er noch 55 Kilo. Der Mechaniker aus dem islamisch-konservativen Maschhad sagt: „Ich habe gegen den Islamismus gekämpft“, sagt er. Müsste er nun, auch nach dem Protest, wieder zurück, wäre sein Schicksal besiegelt, da ist er sich sicher.

Ein Dutzend Menschen sind tagsüber meist am Zelt. Es gibt Info-Material, im Zelt stehen drei alte Metallbetten mit durchgelegenen Matratzen. Auf einem Plakat steht: „Iran ist ein großes Gefängnis geworden!“ Am Zelt ein Spruchband: „Gleiches Recht für alle“. Sie wenden sich gegen „Abschiebung, Lagerinternierung, Arbeitsverbot, Residenzpflicht“. Letztere verbietet ihnen das Reisen in Deutschland oder im Freistaat. Meist erhalten sie nur Essenspakete und 40 Euro Taschengeld im Monat. „Bayern ist ein Sonderfall“, sagt Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Es gebe hier „die flächendeckendste und rigideste Lagerunterbringung“ in ganz Deutschland. „Verzweifelte Menschen werde de facto eingesperrt.“ Erst Ende Januar hat sich ein Asylbewerber aus dem Iran in der Würzburger Unterkunft das Leben genommen. Mohammed Rahsepar war 29 Jahre alt und einst Polizist im Iran.

Armin Jahanizadeh (24) wollte im Iran zum Christentum konvertieren. „Das geht nicht, es ist eine Todsünde“, erzählt er am Zelt in Würzburg. Vor zwei Jahren floh er aus Teheran. Es folgte ein halbes Jahr in deutscher Abschiebehaft, dann war er 17 Tage im Hungerstreik. Letzte Woche hat er aufgehört, weil ihm die Klärung seines Falles versprochen wurde.

Jeder hat hier seine eigene Geschichte. Mehdi Sajadi etwa, auch 24 Jahre alt, war Internet-Blogger in Teheran. Er wandte sich gegen die weit verbreiteten Steinigungen durch das Ayatollah-Regime. Er bekam eine Warnung, dass ihm die Geheimpolizei auf der Spur sei. Als er nach Hause kam, war seine Wohnung verwüstet. „Da wusste ich, dass ich sofort weg muss. Seine Frau ist noch dort.

Es dauert eine Weile, bis diese schüchternen Männer mehr erzählen. Bis sie zumindest andeuten können, welche unmenschlichen Bilder sich in ihrem Kopf eingebrannt haben. Schwule etwa werden im Iran zu Klippen getrieben und hinuntergestoßen. Lesben werden bis zum Hals in die Erde eingegraben und gesteinigt. Andere, die sich nicht an die religiösen Vorgaben halten, erhängt man an hohen Galgen. Die Menschen, auch Kinder, müssen an den Leichnamen vorbeilaufen.

Doch Widerstand, Hungerstreik, zugenähte Lippen in Deutschland – das klingt auch nach Erpressung. Setzt man Forderungen umso besser durch, je drastischer die Formen des Protestes sind? Die bayerische Staatsregierung bleibt bei ihrer Haltung, dass Asylbewerber grundsätzlich in den Sammelunterkünften leben müssen, die oft weitab jeglicher Infrastruktur liegen. Das Bundesamt für Migration, das über die Anträge entscheidet, teilt auf Anfrage des Tagesspiegels mit, dass es sich durch die Aktionen „nicht unter Druck setzen bzw. beeinflussen“ lasse. Hinter vorgehaltener Hand sagt aber ein Landespolitiker: „Wenn jetzt die Anerkennungen für die Iraner purzeln, dann nur, um die Leute von der Straße zu bekommen.“ Deren Aktion nämlich macht Schule: In Bamberg und im kleinen unterfränkischen Ort Aub sind weitere Iraner- Camps entstanden. Patrick Guyton

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