zum Hauptinhalt

Politik: Atomkraft: Der Faktor Mensch

Gegen ein Attentat mit einem Passagierflugzeug ist keines der 19 deutschen Atomkraftwerke gerüstet. Das hat das Umweltministerium schon wenige Tage nach den Terroranschlägen vom 11.

Gegen ein Attentat mit einem Passagierflugzeug ist keines der 19 deutschen Atomkraftwerke gerüstet. Das hat das Umweltministerium schon wenige Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September zugegeben. "Die Betreiber und wir stimmen überein, dass Atomanlagen gegen solche Angriffe nicht ausgelegt sind", sagte Ministeriumssprecher Michael Schroeren damals. Und Lothar Hahn, Leiter der Reaktorsicherheitskommission (RSK), ergänzte: "Ein Attacke wie auf das World Trade Center könnte eine Kernschmelze auslösen."

Aber auch ganz ohne Terroranschläge können von Atomreaktoren Gefahren ausgehen. Vor allem dann, wenn die Beschäftigten den Eindruck haben, der Betrieb sei reine Routine. Wie im Atomkraftwerk Philippsburg 2. Bei der Jahresrevision im August wurden nicht nur die Brennelemente ausgetauscht. Auch das Sicherheitssystem sollte überprüft werden. Im Fall Philippsburg sind dies vier Flutbehälterpaare.

Kernschmelze - im schlimmsten Fall

Sollte im ersten Kühlwasserkreislauf des Atommeilers ein Leck auftreten, fließt Kühlwasser aus den Flutbehältern nach. Allerdings kein reines Wasser, das würde die Kettenreaktion im Innern sogar anheizen. Damit der "atomare Brand", also die Spaltung von Atomkernen, nicht außer Kontrolle gerät, muss das Kühlwasser das chemische Element Bor enthalten. Es hat die Aufgabe, Neutronen aufzufangen und damit die Kettenreaktion zu bremsen. Ist der Borgehalt zu niedrig, kann es im schlimmsten Fall zur Kernschmelze, also dem Größten Anzunehmenden Unfall (Gau), kommen.

In den Flutbehältern in Philippsburg war der Bor-Anteil nicht hoch genug. Er unterschritt bei allen Behältern den verlangten Grenzwert. Statt die Anlage herunterzufahren, bis das Sicherheitssystem wieder voll funktionstüchtig war, haben die Betreiber, die Energie Baden-Württemberg (EnBW), den Reaktor einfach weiterlaufen lassen.

Kein Wunder, dass Atomkraftgegner und Umweltverbände seit dem 11. September wieder fordern, den Kernenergiekonsens noch einmal aufzuschnüren und die Reaktoren früher als geplant stillzulegen: also sofort. Der Strahlenmediziner Edmund Lengfelder etwa bemängelte in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung", dass "als mögliche Unfallursachen Terrorismus und menschliches Versagen nie berücksichtigt wurden". Dabei waren bei Reaktorunfällen bisher immer Fehlentscheidungen von Mitarbeitern ausschlaggebend, wie jetzt auch in Philippsburg. Wie also lassen sich Atomkraftwerke gegen Terrorismus schützen?

"Man kann technisch die Grenzen ausloten", sagt Lothar Hahn vorsichtig. Also für jedes einzelne deutsche Kraftwerk errechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Kernschmelze im Falle eines Flugzeugabsturzes oder gar eines Attentates ist. Aber Konsequenzen daraus "lassen sich nur politisch ziehen", sagte Hahn dem Tagesspiegel. Die RSK werde Mitte Oktober lediglich eine erste Stellungnahme zur Sicherheit der deutschen Atomanlagen abgeben können. Anlagenspezifische Untersuchungen werde es so schnell nicht geben, sagt Hahn.

Das Risikobewusstsein hat jedenfalls seit dem 11. September zugenommen. Äußerungen, die beruhigend gemeint sind, klingen immer ein wenig doppeldeutig. Wie zum Beispiel David Kyd, der Sprecher der Internationalen Atomenergiebehörde, den die "Süddeutsche Zeitung" mit den Worten zitierte: "Atomkraftwerke sind eher klein."

Zu schwache Betondecken

Jürgen Maaß, Sprecher des Umweltministeriums, sagt, es sei doch eher unwahrscheinlich, dass ein Attentäter ein Flugzeug auf ein atomares Zwischenlager zusteuere, wenn direkt daneben ein Kernkraftwerk stünde. Oder gar auf einen Atommülltransport, der sich ja noch dazu bewege. Dennoch hält der Präsident des Bundesamtes für Strahlensicherheit (BfS), Wolfram König, fünf geplante Zwischenlager in Süddeutschland inzwischen nicht mehr für sicher genug. Die Betondecken von 55 bis 85 Zentimentern, beispielsweise in Philippsburg, könnten einem Flugzeugabsturz nicht standhalten, sagte er dem "Spiegel". Das dürfte erst recht für das Interimslager gelten, das seit der Jahresrevision in Philippsburg eingerichtet wurde. Dort lagern die Atommüllbehälter seit Mitte August in "Garagen" mit Wandstärken von 40 Zentimeter Stahlbeton", so Jürgen Maaß.

Ob auch nach der Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission noch die Devise "es gibt keinen Grund, den Atomkonsens wieder aufzuschnüren", die Michael Schroeren nach den Anschlägen ausgegeben hatte, gelten wird, weiß derzeit vermutlich nicht einmal der Umweltminister selbst. Jürgen Trittin hat am Wochenende den Satz gesagt: "Ob einzelne Anlagen beschleunigt abgeschaltet werden, ist eine Frage, die wir klären müssen." Allerdings nur im Konsens. Das hat der Grünen-Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch schon vor einigen Tagen vorgegeben. Anderenfalls müsse es beim festgelegten Ausstiegsfahrplan bleiben.

Zur Startseite