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Politik: Atomkraft: In Garching wird Deutschlands ältester Reaktor abgeschaltet und durch eine neue Anlage ersetzt - die Bürger sind dagegen

Das ungewöhnliche Gebäude bei Garching im Norden Münchens zieht noch immer viele Blicke auf sich. Seit 43 Jahren glänzt seine Aluminiumhaut über einer eiförmigen, dreißig Meter hohen Kuppel.

Das ungewöhnliche Gebäude bei Garching im Norden Münchens zieht noch immer viele Blicke auf sich. Seit 43 Jahren glänzt seine Aluminiumhaut über einer eiförmigen, dreißig Meter hohen Kuppel. Der Forschungsreaktor ist "ein Symbol für den technologischen Wandel in Bayern und Deutschland", sagt der Rektor der Technischen Universität München, Wolfgang A. Herrmann, zu der die Neutronenquelle gehört. Am heutigen Freitag wird sie abgeschaltet. Zum letzen Mal gibt es also dort eine kontrollierte Kernspaltung. In den Augen der Wissenschaftler geht eine außerordentliche erfolgreiche und unfallfreie Epoche deutscher Neutronenforschung zu Ende; und eine neue soll beginnen.

Das markante Gebäude bleibt jedoch als Wissenschaftsdenkmal erhalten. Es stand am Beginn einer Entwicklung der Gemeinde vom Bauerndorf zur Stadt, in der 4000 Wissenschaftler arbeiten. Die Kernphysiker bereiten sich auf die Arbeit an einem nahezu fertigen, wesentlich leistungsstärkeren Reaktor in unmittelbarer Nachbarschaft des alten vor. In Betrieb gehen soll er im nächsten Jahr, vorausgesetzt die endgültige Genehmigung kommt im Herbst. Die Mehrheit der Garchinger indes hat sich bereits 1999 in einem Bürgerentscheid gegen den neuen Reaktor ausgesprochen.

Umstritten ist zudem, ob dieser mit hoch-oder mit niederangereichertem Uran betrieben wird. Die USA, die den Brennstoff liefern sollen, sind dagegen. Ihre Bedenken, die von Atomkraftgegnern, der bayerischen SPD, den Grünen und Bundesumweltminister Jürgen Trittin geteilt werden, beruhen darauf, dass es sich bei dem Brennstoff, für den der neue Reaktor vorbereitet wird, um waffenfähiges Plutonium handelt, das in die falschen Hände geraten könnte. Notfalls will sich Bayern den Stoff in anderen Ländern besorgen. Sein Wissenschaftsminister Hans Zehetmair pocht ebenso wie TUM-Rektor Herrmann darauf, dass Deutschland auf dem Gebiet der Neutronenforschung eine Position an der Weltspitze zu verteidigen habe, auch gegenüber den Amerikanern. Experten vertreten jedoch auch die Meinung, dass mit gering angereichertem Material ähnliche Ergebnisse erzielt werden können. Der Bund beteiligt sich nach Angaben Zehetmairs an den Gesamtkosten des neuen Reaktors von 810 Millionen Mark mit 160 Millionen an den Investitionskosten.

Die Zusammenarbeit des damaligen Bundesatomministers Franz Josef Strauß (CSU) und des bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (SPD) brachte 1957 das Garchinger "Atomei" zustande. Beide legten den Grundstein, auf dem der erste wissenschaftliche Leiter, der heute 89-jährige Heinz Maier-Leibnitz, aufbauen und die deutsche Kernphysik zu hohem Ansehen führen konnte. Einer seiner Schüler war der spätere Nobelpreisträger Rudolf Mößbauer. "Von den systematischen Entwicklungen in Garching haben die meisten anderen Forschungsreaktoren dieser Welt profitiert", sagt TU-Rektor Wolfgang A. Herrmann.

Rolf Linkenheil

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