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Das deutsche Hochspannungsübertragungsnetz ist mehr als 30 000 Kilometer lang. Nicht lang genug. Minister Brüderle will ein „Netzausbaubeschleunigungsgesetz“. Foto: dapd

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Atomkraftwerke in Deutschland: Stress in der Leitung

Sieben deutsche Atommeiler sind abgestellt, die Betreiber müssen jetzt nachsteuern. Es fehlt an Hochspannungstrassen. Wirtschaftsminister Brüderle will ein "Netzausbaubeschleunigungsgesetz".

Berlin - Das deutsche Hochspannungsübertragungsnetz ist mehr als 30 000 Kilometer lang. Von Nord nach Süd, von West nach Ost überspannen die Leitungen die Republik, laufen über Umspannwerke und Trafostationen schließlich in ein weit verzweigtes regionales und lokales Verteilnetz – bis zum Endverbraucher. Amprion, TenneT, 50 Megahertz Transmission und die EnBW Transportnetze AG sorgen dafür, dass der Stromfluss nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Mit dem Ausfall von Kapazitäten wie jetzt durch den Stillstand von sieben Kernkraftwerken stehen die Netzmanager vor neuen Herausforderungen.

„Das Netz ist nicht darauf eingestellt, es können angespannte bis kritische Situationen entstehen“, umschreibt Marian Rappl von der RWE-Tochter Amprion die Lage. Wenn nötig, müsse der Netzbetreiber in den Markt eingreifen und Kraftwerke anweisen, mehr Strom zu produzieren. Doch die Lage ist nicht bedrohlich. Rappl: „Wir können unser Netz weitgehend sicher betreiben.“ Das heißt, über die Übertragungsnetze ist auch heute ohne sieben Atomkraftwerke so viel Strom abgreifbar, dass Spitzenlast bedient und Schwankungen durch erneuerbare Energien ausgeglichen werden können. Auch die Bundesnetzagentur sieht durch den Ausfall der Kernkraftwerke – und wer weiß, ob sie jemals wieder ans Netz gehen – keine Gefährdung für die Stromversorgung.

Beim Netzbetreiber TenneT wird die Lage ähnlich eingeschätzt. Das Abschalten der Kernkraftwerke stelle derzeit keine unmittelbare Gefährdung dar, heißt es. Die größten Herausforderungen für die Netzbetreiber stellen sich vermutlich am Flaschenhals der Stromübertragung: der eng gewordenen Nord-Süd-Trasse. Auf der ohnehin schon durch Windenergie stark belasteten Route werden sich die Stromflüsse noch einmal erhöhen, weil allein im Süden Deutschlands fünf Kernkraftwerke ausfallen. Die Erzeugungsstruktur durch die Zuschaltung konventioneller Kraftwerke und die Lastflüsse würden sich gravierend ändern, meint die Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, Hildegard Müller.

Den Ausfall von sieben Kernkraftwerken halten andere für unproblematisch. Für das Jahr 2009 errechnete die Bundesnetzagentur eine gesamte Erzeugungskapazität von gut 150 Gigawatt – deutlich mehr als die für Deutschland ermittelte Verbrauchsspitze von gut 80 Gigawatt. Das ist auch nötig, denn Reserven müssen vorhanden sein; außerdem stehen Kraftwerke revisionsbedingt schon mal still oder auf der Nordsee herrscht Windflaute. In solchen Lagen muss Strom aus Pumpspeicher- oder Gasturbinenkraftwerken schnell zugeschaltet werden können. Bis 2050 könnten sich die Verbrauchsspitzen durch effizientere Nutzung (Smart Grids) und das Einsparen von Energie nach Einschätzung der Umweltorganisation WWF auf 54 Gigawatt verringern. Das ist die Leistung, die werktags um die Mittagszeit anfällt und sich danach wieder reduziert. Der Wegfall der Kapazitäten von sieben Kernkraftwerken falle da kaum ins Gewicht.

Was aber ins Gewicht fällt, sind unzureichende Transportnetze. Hier zeigt sich die Dringlichkeit des Ausbaus. Für die Einspeisung vor allem von erneuerbaren Energien fehlen Kapazitäten. So steht die Bundesregierung in der Folge der Reaktorkatastrophe in Japan nicht nur in der prekären Situation, ihr Energiekonzept zu überdenken und die Sicherheit von Akw zu überprüfen. Sie muss auch beim Netzausbau Gas geben. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) will schon an diesem Montag Eckpunkte für ein Gesetz vorlegen, das einen wesentlich schnelleren Ausbau der Stromnetze für Energie aus Biomasse, Erdwärme, Wind, Solar und Wasser ermöglichen soll.

Die Deutsche Energieagentur Dena hat schon einmal den Bedarf ermittelt. Das Ergebnis ist, dass bis 2020 zwischen 1700 und 3600 Kilometer neuer Hochspannungsleitungen gebraucht würden, um vor allem den Windstrom ins Netz zu integrieren. In einer ersten Netzstudie 2005 war die Dena mit ihren Partnern auf einen Ausbaubedarf von 850 Kilometern bis 2015 gekommen. Davon sind nach Dena-Angaben aber erst 90 Kilometer gebaut. Die Kosten für das von der Dena bevorzugte Szenario – 3600 Kilometer neuer 380-Volt-Freileitungen, gehalten von Strommasten – lägen bei 9,7 Milliarden Euro. Alle technischen Alternativen sowie ein besseres Management des bestehenden Stromnetzes werden in der Studie als unwirtschaftlich verworfen. Die von vielen Bürgerinitiativen geforderten erdverlegten Gleichspannungskabel würden nach Dena-Angaben den Netzausbau nur um 200 Kilometer verkürzen, aber zwischen 22 und 29 Milliarden Euro kosten. Allerdings wäre das eine Vollverkabelung der neuen Leitungen, eine Teilverkabelung von 20 bis 30 Prozent der Leitungen wäre für etwa die Hälfte der Summe zu haben, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Ingrid Nestle. Doch das hat die Dena-Netzstudie nicht untersucht. mit dpa

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