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Atomstreit: USA bieten Golfstaaten Abwehrschirm an

Hillary Clinton treiben zwei Fragen um: Wie umgehen mit einem Iran, der an der Bombe baut und zugleich von innenpolitischen Kämpfen erschüttert wird? Die US-Außenministerin gab darauf jüngst zwei Antworten, eine altbekannte und eine interessante neue.

Politische Gespräche mit Teheran seien eine Möglichkeit, sagte die US-Außenministerin jüngst in Thailand. Aber da Teheran wegen der inneren Beben nicht so recht reden könne, müsse man ebenso die "lähmende Aktion" ins Auge fassen, drohte sie. Was damit genau gemeint ist, blieb schon unter der Vorgänger-Regierung Bush stets im Unklaren. Mehr Sanktionen? Einigkeit im zerstrittenen UN-Sicherheitsrat? Ein militärischer Angriff? Die herkömmlichen Drohungen gegen Iran werden nicht frischer, wenn sie von neuen Außenministern vorgetragen werden.

Hillary Clinton ließ danach aber tiefer in die strategischen Überlegungen der USA blicken. Und da scheint tatsächlich der Ansatz eines Auswegs aus der Drohungsspirale gegen die nuklearversessenen Iraner auf. Clinton bot nicht weniger als eine Sicherheitsgarantie für die arabischen Staaten am Golf an, für die reichen, aber kaum geschützten Emirate ebenso wie für das große Saudi-Arabien. Schauen wir uns die wichtigen Sätze an:

„Wenn die USA einen Verteidigungsschirm über die Region spannen und die militärischen Fähigkeiten der Golfstaaten weiter verbessern“, sagte Clinton, „ist es unwahrscheinlich, dass sich Iran stärker oder sicherer fühlen kann. Iran wird andere nicht einschüchtern und dominieren können, wie sich das Land es offenbar durch den Erwerb von Atomwaffen erhofft.“

Wichtige, kluge Worte. Sie könnten, wenn sie ernst gemeint sind, den Nuklearstreit mit Teheran in eine ganz andere Richtung drehen. Washington beginnt, sich nicht mehr einseitig darauf zu versteifen, die vielleicht unabwendbare iranische Bombe zu verhindern, sondern ihre Folgen einzudämmen. Die unmissverständliche neue Botschaft an Teheran lautet so:

Wir verfolgen Euer Atomprogramm genau, wir sind dagegen, aber wir lassen uns nicht in ewigen Gesprächen darüber an der Nase herumführen. Ihr mögt vielleicht Eure Bombe basteln, aber wir bauen dagegen ein Bündnis auf, das alle Eure politisch-hegemonialen Ziele im Mittleren Osten zunichte macht. Die Bombe würde Euch außer hohen Kosten gar nichts bringen.

Zugleich liegt in Clintons Bemerkungen auch eine überfällige Botschaft an die Golfaraber: Wir wissen, wie wichtig Euer wirtschaftlicher Aufschwung, Eure Kapitalanhäufung der letzten Jahrzehnte für den Westen und die ganze Welt ist. Wir sehen auch, wie angreifbar und erpressbar Eure modernen Städte am Golf sind. Deshalb schützen wir Euch im Notfall mit all unseren Mitteln, ob konventionell oder nuklear. So wie wir das mit Westeuropa in den Zeiten des Kalten Krieges erfolgreich gemacht haben.

Hier kommt sie wieder in neuer Verpackung: die Abschreckung der klassischen Art, die inhaltsvolle Drohung für den Fall, dass ein militanter Möchtegern sich überschätzt, der wirksame Schutz für wichtige Verbündete. Die USA haben schon heute große Stützpunkte am Golf, die sich ausbauen ließen. Der nukleare Schirm ließe sich sowohl mit Interkontinentalraketen wie mit Mittelstreckenraketen in der Region aufspannen.

Vor einem Rüstungswettlauf wie einst mit der Sowjetunion müsste man sich kaum fürchten. Iran kann mit den USA nicht konkurrieren. Zugleich wären die Golfaraber von der Aufgabe entlastet, nun selbst eilig nukleare Waffen anzuschaffen und damit die Proliferation anzuheizen.

Das alles ist beileibe keine Schöne Neue Welt mit Atomwaffen. Natürlich wäre es viel schöner, Iran baute nie die Bombe und die USA müssten niemals einen Nuklearschirm aufspannen. Diese Option müssen Amerikaner und Europäer durch das Angebot umfassender Sicherheitsgarantien an Iran großzügiger als bisher ausloten. Egal, ob Ahmadineschad regiert oder nettere Oppositionsiraner.

Aber möglicherweise lässt sich Iran auch mit Verhandlungen und gutem Zureden nicht mehr von der Nuklearobsession abbringen. Für diesen Fall bietet Hillary Clintons Zukunftsvision der Abschreckung am Golf, wenn sie denn zu Ende gedacht wird, eine Alternative, die der Vision des Amoklaufs am Golf vorzuziehen wäre.

Der Amoklauf, das wäre ein Krieg Israels oder Amerikas gegen Iran. Der würde, wie „effektiv und punktgenau“ auch immer geführt, niemals alle Atomanlagen und die nuklearen Fähigkeiten Irans zerstören. Ein Krieg würde auf das dahinsiechende iranische Regime wie ein Jungbrunnen wirken und ihm neue unverdiente Legitimität verleihen. Der Krieg würde Iran wirklich zur moralischen und politischen Vormacht im Mittleren Osten machen. Dazu darf es niemals kommen.

Dann schon lieber den kalten Frieden am Golf unterm US-Nuklearschirm. Der würde Iran wieder auf seine wahre Größe reduzieren: eine von mehreren krisengeplagten Regionalmächten im Mittleren Osten zu sein.

Quelle: ZEIT ONLINE

Michael Thumann[Istanbul]

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