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Politik: Auf Biegen und Brechen

Von Robert Birnbaum

In der Politik wie im wirklichen Leben gibt es gute und schlechte Angewohnheiten. Die schlechten sind oft Folge von Gewohnheit und Bequemlichkeit. Deshalb werden wir am Sonntagabend wieder hören, die drei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg seien „Testwahlen“ gewesen für die große Koalition in Berlin. Klingt logisch. Nur – was testen diese Testwahlen, und wen?

Wer sich umgeschaut hat in den fraglichen Ländern, dem ist vor allem eins aufgefallen: die Abwesenheit von Wahlkampf. Die üblichen Plakate, die üblichen Redeauftritte, aber von Schlachtenlärm kein Ton. Das liege, sagen die Wahlkämpfer, an den geklärten Verhältnissen. Und wirklich deutet ja nichts auf einen Regierungswechsel in Mainz oder Stuttgart hin; immerhin, in Magdeburg steht der kleinere Koalitionspartner zum Tausch an, SPD rein, FDP raus. Andererseits haben mangelnde Chancen noch keine Opposition daran gehindert, mit Getöse die Festung zu bestürmen. Dass das ausbleibt, sagen die Wahlkämpfer daraufhin und zucken mit den Schultern, liege an der großen Koalition. Der Berliner Burgfriede strahle aus ins Land.

Das ist nun eine interessante Theorie. Auf den ersten Blick ist sie ganz und gar plausibel, auf den zweiten ist sie Quatsch. Man sollte doch meinen, dass der Berliner Friede den Landesparteien die Chance böte, umso deutlicher die Differenzen in den Ländern hervorzuheben. Stattdessen folgen sie nach Art der braven Schafe dem Zug der Herde, und wenn die Leittiere stehen bleiben, dann rühren sie sich gleichfalls nicht vom Fleck? Sonderbar. Und erhellend.

Der Vorgang erzählt nämlich, erstens, etwas über die Bedeutungslosigkeit, zu der Landespolitik hierzulande herabgesunken ist. Zuständig für ein diffuses Zwischenreich zwischen den ganz großen Fragen und den ganz unmittelbaren – wird die Schwimmhalle renoviert oder geschlossen oder was? –, lohnt das Tun und Lassen eines durchschnittlichen Ministerpräsidenten das Streiten nicht. Von Kiel bis Wiesbaden sind Regierungswechsel folgerichtig seit Jahren das Ergebnis bundespolitischer Stellvertreterkriege. Auf diesen Effekt hat sich, zweitens, die Politik in einem Maße eingestellt, dass er zum Zirkelschluss geworden ist. Immer kriegen die Berliner Feldherren die Prügel, wenn ihre Stellvertreter scheitern. Dass eine Landtagswahl auch mal keine Bundes-Testwahl gewesen sein könnte – der Gedanke ist längst undenkbar.

In normalen Zeiten ist dieser Zustand für die großen Volksparteien komfortabel. Wer jede Landtagswahl als Abrechnung mit dem Bund wahrnimmt, muss sich kaum noch Rechenschaft über das eigene Erscheinungsbild jenseits des Reichstags ablegen. Aber die Zeiten sind eben nicht normal. Und auf einmal wird das Testwahl-Schema ungemütlich. Es zwingt nämlich dazu, Landesergebnisse als Stimmungstest nicht mehr für die gesamte Bundesregierung zu deuten, sondern für (oder gegen) deren CDU/CSU- oder SPD-Teil. Da können Kanzlerin und Vizekanzler, mögen Angela Merkel und Franz Müntefering noch so oft betonen, es zähle nur der gemeinsame Erfolg – an Wahlabenden wird getrennt gezählt. Für jede Bundesregierung sind Landtagswahlen ein Test; für die große Koalition werden sie nur allzu schnell zum Test auf Biegen und Brechen. Die Langeweile in diesen Wahlkämpfen täuscht. Es ist mehr so eine Art Angststarre.

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