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Politik: Auf der Hängebrücke

SCHRÖDERS TAG

Von Christoph von Marschall

Da steht er nun, der Kanzler, auf der Brücke, schaut zurück und nach vorn. Am Mittwochmorgen bei der sommerlichen Kabinettssitzung, mittags vor der Bundespressekonferenz, wo er die Deutung des Beschlossenen vorzugeben versucht, und am Abend im sächsischen Grimma, wo er eine neue Hängebrücke über die Mulde einweiht. Die alte hatte die Flut vor einem Jahr weggerissen.

Geht es nach Schröder, soll dieses Bild die Nachrichten bestimmen. Seht her, das hat meine Politik seit dem Wahlsommer 2002 geleistet: nicht nur in Grimma, überall im Flutgebiet. Und ebenso bei den Staatsfinanzen, die die schlechte Weltkonjunktur aus ihren Verankerungen gerissen hat, bei den fehlenden Jobs, die die Krise fortgetragen hat, bei den unterspülten Sozialsystemen. Jetzt haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Und arbeiten weiter an der Erneuerung der Fundamente und Baustrukturen, sie werden Gesellschaft und Staat verlässlich tragen.

Gerhard Schröder hat Belege für diese Sicht vorgetragen. Das Vorziehen der Steuerreform hilft der Konjunktur, die Verbreiterung der Gewerbesteuer den Kommunen, die Zusammenlegung von Arbeitslosen und Sozialhilfe stützt die Strukturreformen. Ebenso die Gesundheitsreform, auf die sich SPD und Union zum Gutteil geeinigt haben. So liest sich das, so soll es sich lesen: Nach der Wahl brauchte er etwas Zeit, um die Lage zu sondieren, Lösungen zu suchen und in Gesetzentwürfe zu übertragen. Jetzt passiert, was er versprochen hat.

Kann der Kanzler die Öffentlichkeit von dieser Sichtweise überzeugen – was ihm offenbar nicht mal im Kabinett ganz gelungen ist? Die Stimmung ist verzagt bis mäkelig. Die Umfragen stehen gegen ihn. Der Tenor der Kommentare: zu viel Kleinklein, es fehle die Perspektive. Die Reformansätze wirken unstet und provisorisch, in der Vergangenheit war vieles handwerklich unzureichend. Solche Stimmungen werden den Medienkanzler betrüben, aber nicht beunruhigen. Wer wie er mit der Journaille spielt, muss damit leben, dass Empathie und Enttäuschung wechseln. Er traut es sich zu, Stimmungen zu drehen. Die Kritik hat er offensiv aufgenommen: Rot-Grün seien Fehler unterlaufen, er habe gelernt.

Es gibt jedoch wichtigere Gründe als die widrige Stimmung, die es einem schwer machen, Schröders optimistische Deutung zu übernehmen. Er bezieht die Perspektiven und Interessen der Mitspieler zu wenig ein, von deren Handeln er doch abhängig ist. Die Städte und Gemeinden sind nicht überzeugt, dass die Steuernovellen ihre Lage substanziell verbessern. Auch Wirtschaft und Interessengruppen gehen Schröders Weg bestenfalls halbherzig mit. Zu wenig Reform, maulen die einen, zu viel Zumutung die anderen. Schon gar nicht darf man die Sichtweise und das Verhalten der Opposition weglassen. Mag sein, dass ihre Einwände nur zum Teil sachlich begründet sind und auch eine gehörige Portion Taktik dahinter steckt. Doch Schröder täte besser daran, die Machtaufteilung, wie sie nun einmal ist, in seine Analyse aufzunehmen – statt sie nur für das SchwarzePeter-Spiel zu benutzen, wer die Schuld an Misserfolgen trägt. Aus Schröders Pressekonferenz-Blickwinkel sieht die Lage hoffnungsvoll aus: Der Aufbruch ist da, der Aufschwung kommt. Die anderen Perspektiven ändern das Gesamtbild jedoch gravierend.

Wie in Grimma gestern. Die neue Hängebrücke ist eine von dreien – dort stand Schröder auf so festem Boden, wie das eine Hängebrücke eben zulässt. Die große alte Stadtbrücke des Baumeisters Pöppelmann liegt weiter in Trümmern. Die dritte ist unzerstört, über sie läuft der Alltagsverkehr recht und schlecht. Der Umbau für die Zukunft ist noch ziemlich am Anfang.

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