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Politik: Auf Diät

Von Gerd Appenzeller

Eigentlich steht im Artikel 38 des Grundgesetzes unter Absatz 1 alles, was man über die Unabhängigkeit von Bundestagsabgeordneten wissen muss. „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“, liest man da. Aber weil die Verhältnisse nun einmal nicht so sind, gibt es noch ein Abgeordnetengesetz und eine Geschäftsordnung des Bundestages, die alle Zweifel darüber ausräumen sollten, was Parlamentarier dürfen und was nicht. Aber das alles reicht offenbar nicht, um Klarheit zu schaffen, und deshalb reden wir über Laurenz Meyer (RWE), Ulrike Flach (Siemens) und Hildegard Müller (Dresdner Bank). Und wir reden darüber, ob die bestehenden Regelungen über Nebentätigkeiten geändert werden müssen.

70 Prozent der Abgeordneten, so vermuten Wissenschaftler der Universität Jena, haben keine Nebeneinnahmen. Ob sie bessere Volksvertreter sind als die 30 Prozent, die sich, salopp gesprochen, noch was dazuverdienen, steht dahin. Wenn jemand von potenziellen Arbeitgebern umworben wird, spricht das eher nicht für einen Mangel an Qualifikation. Die Angehörigen freier Berufe, vor allem Anwälte, kann man ohnedies nicht zwingen, ihre Kanzleien zu schließen, weil sie ein Bundestagsmandat wahrnehmen. Wir wünschen uns ja gerade ein Parlament, das nicht vom öffentlichen Dienst dominiert wird, sondern die bundesrepublikanische Gesellschaft widerspiegelt. Sehr erfolgreich ist dieses Bemühen immer noch nicht. 296 der 601 Parlamentarier sind im weiten Sinne dem öffentlichen Sektor zuzurechnen.

Nebentätigkeiten müssen dem Bundestagspräsidenten angezeigt werden, sie sind, wie auch ehrenamtliche Funktionen, auf der Homepage der Abgeordneten nachzulesen. Unklarheiten und auch Unsauberkeiten, allerdings keine strafrechtlich relevanten, werden dadurch nicht vollständig vermieden. Wirklich bedenklich ist nur, wenn durch Zahlungen ein bestimmtes Verhalten erkauft werden soll. Manches wird auch durch die Medien hysterisch skandalisiert. So ist der CDU-Abgeordneten Hildegard Müller kaum vorzuwerfen, dass sie sich um den Wiederaufbau der Frauenkirche und die NS-Vergangenheit ihres bisherigen und wohl auch künftigen Arbeitgebers, der Dresdner Bank, kümmert.

Weniger unbedenklich sind die so harmlos klingenden Übersetzertätigkeiten der Liberalen Ulrike Flach für Siemens. Flach nämlich sitzt dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung vor – und es gibt vielleicht kein deutsches Unternehmen, das an der Arbeit dieses Ausschusses mehr Interesse hat als Siemens.

Wo liegen die Grenzen zwischen unerlaubter Interessenvertretung und erwünschter Sachkunde? Sind sie künftig durch eine verschärfte Offenlegungspflicht besser zu ziehen als bislang? Vermutlich nicht, denn die Parlamentarier, deren Verbindungen benannt wurden, sind viel weniger problematisch als jene, die berufliche Beziehungen nicht einmal offen legen dürfen; Anwälte zum Beispiel, die sich auf Mandatsschutz berufen können. Was jedoch ist mit dem Juristen, der in einem lukrativen Einzelfall ein Rüstungsunternehmen vertritt und im Verteidigungsausschuss sitzt? Müsste er diesen Ausschuss nicht sofort verlassen? Das konstruierte Beispiel zeigt, so blauäugig es klingt, dass es ohne Anstandsregeln niemals gehen wird. Und wenn man es genau nimmt, ist Artikel 38 des Grundgesetzes ja ein solcher Appell.

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