zum Hauptinhalt

Politik: „Auf die West-Berliner warten harte Zeiten“ Günter Schabowski und Walter Momper über Mauerfall, ein gebrochenes Versprechen und falsche Hoffnungen

Herr Momper, Herr Schabowski, Sie waren damals an entscheidender Stelle an den Ereignissen des 9. November 1989 beteiligt.

Herr Momper, Herr Schabowski, Sie waren damals an entscheidender Stelle an den Ereignissen des 9. November 1989 beteiligt. Was halten Sie von dem jüngst errichteten Mauerdenkmal am Checkpoint Charlie?

Momper: Ich halte davon gar nichts. Es kann die Schrecklichkeit der Mauer nicht zeigen. Ich finde das Denkmal an der Bernauer Straße viel geeigneter. Am Checkpoint – das ist eine Verniedlichung.

Schabowski: Lassen Sie das Urteil darüber die Opfer sprechen. Zu denen gehöre ich nicht. Immerhin: Frau Hildebrandt, die Leiterin des Mauermuseums, hat damit eine Debatte über die so genannte Erinnerungskultur angestoßen.

Ist ein Mauermahnmal überhaupt notwendig?

Schabowski: Da bin ich mir nicht schlüssig. Es geht ja um den Irrsinn eines Systems, das nur existieren konnte, wenn es eine Mauer um sich errichtet – was zu verblassen droht.

Ist zu viel Mauer abgerissen worden?

Schabowski: Nein, mehr Mauer muss nicht sein. Das war doch ein Schandfleck. Aber diese schauerliche Architektur muss man schon gesehen haben, mit welchen primitiven und barbarischen Mitteln das System versucht hat zu verhindern, dass ihm die Leute weglaufen.

Ist die Mauer ein geeignetes Objekt für die Erinnerungskultur?

Momper: Warum nicht? 1990 wollten die Berliner die Mauer weghaben. Dass nun heute einige Schlaumeier kommen und sagen: Wir brauchen die Mauer nur aus touristischen Gründen – das ist doch eine ganz traurige Angelegenheit.

Haben Sie am 9. November 1989 geahnt, welche Folgen die Maueröffnung haben würde?

Momper: Wir, Schabowski und ich, hatten uns ja schon am 29. Oktober getroffen, im „Rosensalon“ des Palasthotels. Es war unsere erste Begegnung überhaupt. Schabowski hat mir damals in einer Klarheit und Offenheit aus dem Innersten der DDR berichtet, wie ich das zuvor noch nie erlebt hatte. Wir haben auch viel über die führende Rolle der Partei diskutiert. Beim Punkt Reisefreiheit haben wir gemeinsam überlegt, was dazu verkehrlich und an gemeinsamer Vorbereitung erforderlich war.

Der Begriff „Einheit“ schwebte nicht über diesen Gesprächen?

Schabowski: Überhaupt nicht. Wir auf der DDR-Seite hatten nicht die Vorstellung, dass dies eine unmittelbare Folge der Grenzöffnung sein würde. Im Gegenteil. Es ging ja gerade um den Erhalt der DDR. Wir waren auch überzeugt, dass die Bundesrepublik nicht daran denken konnte, dass die DDR plötzlich ein Stück der Bundesrepublik wird. Zumal sich der europäische Prozess zu entwickeln begann und wir wussten, dass vor allem die Franzosen und Engländer größte Bedenken gegen Bestrebungen einer Wiedervereinigung hatten. Der französische Präsident Mitterrand hatte ja noch in der Nach-Honecker-Ära die DDR besucht und dabei Egon Krenz auf die Schulter geklopft und ihn damit bestärkt, dass die DDR bestehen bleiben müsse. Selbst die, die die Einheit wollten, konnten nicht mit einer kurzfristigen, brachialen Lösung rechnen. Wir hatten in jenen Tagen also nicht die Befürchtung, dass die DDR an einer Grenzöffnung zugrunde gehen würde. Wir waren uns sicher, dass die Leute zum größten Teil wieder zurückkommen würden, weil ja die Bundesrepublik gar nicht in der Lage gewesen wäre, sie alle unterzubringen, das heißt sofort mit Arbeit und Wohnung zu versorgen.

Ist Ihnen das auch bei Ihrem berühmten Satz am 9. November durch den Kopf gegangen?

Schabowski: Mir ist nichts Spektakuläres durch den Kopf gegangen, wenn Sie das meinen. Wir waren ja Veranlasser dieser Reiseregelung, weil wir uns davon Druckentlastung versprachen.

Dann war es kein besonders emotionaler Moment?

Schabowski: Na ja. Es war eine Entscheidung, die in einem solchen Regime zuvor überhaupt nicht denkbar war. Wir waren von uns selber beeindruckt, weil wir uns zu diesem schwer wiegenden Schritt entschlossen hatten. Die Konsequenzen konnten wir nicht absehen. Wir dachten ja, wir würden uns damit als Reformer präsentieren. Außerdem wollten wir auf keinen Fall die Beziehungen zur Bundesrepublik belasten, denn wir brauchten ja deren Geld, wir waren ja so gut wie pleite.

Lassen Sie uns noch einmal auf den Moment zurückkommen…

Schabowski: Mit dem spontanen Ansturm habe ich nicht gerechnet, auch nicht damit, dass sich im Lauf der Nacht alle in den Armen liegen. Das waren nicht unsere Emotionen.

Momper: Der 9. November hatte ja einen Vorlauf. Wir haben uns damals, in den Tagen vor der Ankündigung, vor allem mit praktischen Dingen beschäftigt, etwa dass wir mehr Grenzübergänge brauchten. Wir hatten uns ursprünglich auf eine Zeit kurz vor Weihnachten eingestellt. Und wir hatten vereinbart, dass Herr Schabowski uns zwei Wochen vor der beabsichtigten Grenzöffnung Bescheid sagt, damit wir uns vorbereiten konnten. Als ich dann Schabowski am 9. November im Fernsehen sah, war ich völlig überrascht und habe noch gedacht: Wieso hat er uns denn nicht vorgewarnt?

Schabowski: Sicher, Sie mussten das als Bruch unseres Agreements empfinden. (lachend:) Ich nutze die Gelegenheit, mich dafür zu entschuldigen, dass ich Sie nicht angerufen habe.

Momper (lachend:) Die Entschuldigung nehme ich an.

Warum haben Sie denn Herrn Momper nicht informiert?

Schabowski: Sie müssen das im Zusammenhang mit den sich überstürzenden Ereignissen damals sehen. Am Sonnabend, dem 4. November, hatten mehr als eine halbe Million Menschen auf dem Alexanderplatz demonstriert. Wir hatten ein Reisegesetz versprochen, das dann am Montag veröffentlicht wurde. Aber auf der Verwaltungsebene waren von subalternen, strammen Genossen, die uns nach der Honecker-Absetzung nicht über den Weg trauten, ein paar Sicherungen eingebaut worden – nach dem Motto: Man kann doch nicht blanko die Grenze öffnen, dann hauen die Leute doch alle ab. Am gleichen Abend standen die Montagsdemonstrationen überall schon im Zeichen des Protestes gegen diesen unausgegorenen Gesetzentwurf. Am selben Abend noch ruft mich Krenz an und ist fassungslos: Wir veröffentlichen so ein grandioses Reisegesetz, und die Leute quittieren das mit Protest und Wut. Sie hauten uns gewissermaßen eins in die Fresse.

Die Menschen hatten den Verdacht, dass sie an der Nase herumgeführt wurden …

Schabowski: Nun, es war ein Gegeneffekt entstanden zu dem, was wir eigentlich wollten. Während des Telefonats einigten wir uns darauf, dass jetzt etwas passieren musste. Wenn wir nicht unverzüglich handelten, würden wir selbst weggefegt – natürlich ist in solchen Situationen immer der Gedanke der Selbstrettung dabei. Ein Gesetz dauerte zu lange, also machen wir eine Regierungsverordnung. Die können wir später immer noch durch das Parlament absegnen lassen. Darin sollte klipp und klar stehen, dass es die Möglichkeit gibt, die DDR ohne Vorliegen besonderer Gründe zu verlassen und wieder einzureisen, ohne dass die Leute kriminalisiert wurden.

Viel ist über den konkreten Ablauf spekuliert worden. Wie war es denn wirklich?

Schabowski: Innenminister Dickel kommt also am 9. November in die Zentralkomitee-Sitzung mit dem anderthalbseitigen Entwurf der Verordnung und legt ihn Krenz vor, um ihn sich absegnen zu lassen. Boten werden an alle Minister ausgesandt, die diesen Entwurf zur Kenntnis nehmen und bis 19 Uhr ihre Meinung dazu sagen und ihn beschließen sollen. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt nicht in der ZK-Sitzung, sondern sprach draußen mit Journalisten. Krenz zeigt mir, als ich zurückkomme, dann das Papier. Ich blicke kurz drauf und stelle fest, dass die Essentials enthalten sind. Das Unangenehmste für mich war, dass ich schon wieder vor die Presse gehen sollte, um erneut eine Panne einzugestehen. Aber wir haben uns gesagt: In dieser Lage ist Druckentlastung das Wichtigste. Ich hatte mir vorgenommen, darüber am Ende der Pressekonferenz zu informieren, um mich nicht mehr endlosen unangenehmen Nachfragen der Journalisten aussetzen zu müssen. An Sie, Herr Momper, habe ich in dieser Situation in der Tat nicht gedacht.

Dann gab es aber die entscheidende Nachfrage, ab wann die Regelung gilt…

Schabowski: Zunächst wurde gefragt, ob die Regelung auch für West-Berlin gilt. In diesem Moment fiel mir siedend heiß ein, dass wir das nicht mit den Sowjets besprochen hatten. Aber ich sagte mir, dass diese Öffnung ja im Sinne der Politik Gorbatschows war und den Russen nur entgegenkommen könnte. Also antwortete ich, dass das meines Wissens auch Westberlin betreffe. Dann kam die Nachfrage von Herrn Ehrmann von der italienischen Nachrichtenagentur Ansa, ab wann diese Regelung gilt. Meines Wissens ab sofort, unverzüglich, sagte ich. Daraufhin stürzten die Journalisten aus dem Saal, hin zu den Telefonen, um die Kunde zu verbreiten.

Dieser Ablauf war aber so nicht geplant?

Schabowski: Das Missverständnis bestand darin, dass Innenminister Dickel nicht wusste, dass Krenz mir dieses anderthalbseitige Papier gegeben hatte und dass ich damit vor die Presse ging. Es existierte nämlich ein zweites Papier, eine Durchführungsbestimmung, die die ganzen Einzelheiten regeln sollte, die ich aber nicht kannte. Darin hieß es, dass früh um 4 Uhr ein Rundfunksprecher die Reiseregelung mitteilen sollte. Bis dahin sollten die Grenzer informiert werden. So kam es, dass die Nachricht von der Grenzöffnung sogleich um die Welt ging, aber zwei Kilometer entfernt vom Ort der Pressekonferenz wussten die Grenzposten davon nichts.

Und das brachte auch den Regierenden Bürgermeister in West-Berlin in die Bredouille…

Momper: Als ich die Aufzeichnung von Schabowskis Pressekonferenz gesehen hatte, habe ich mir gesagt: So, jetzt ist die Lage da. Dann ab ins Fernsehen. Jetzt müssen wir Dynamik in die Sache bringen, womöglich überlegen die sich das da drüben in einer halben Stunde wieder anders. Ich war dann in der Abendschau. Erst ein Film mit Schabowski. Das verstanden die Leute sowieso nicht. Dann wurde ich gefragt: Was halten Sie denn davon? Ich sagte: Das ist einmal die Ausreiseregelung und dann die Reiseregelung bei Rückkehr. Dann sagte ich noch: Das ist ein historischer Tag, eine historische Stunde, der Tag, auf den wir 28 Jahre lang gewartet haben. Und dann wurde ich ziemlich pragmatisch, ich sagte: Auf die West-Berliner kommen harte Zeiten zu; und, zu den Ost-Berlinern: Wer heute Nacht in den Westen fahren kann, der kann es auch in 14 Tagen noch. Und wenn Sie kommen, bitte lassen Sie die Trabbis und die Wartburgs zu Hause – kommen Sie mit der S-Bahn und der U-Bahn. Wir hatten ja nur elf Grenzübergänge.

Und dann sind Sie selbst zur Mauer gefahren…

Momper: Nein. Nach 23 Uhr saßen wir in einer weiteren Sondersendung des SFB. Nachdem ich eine Meldung von meinen mich begleitenden Polizisten bekommen hatte, dass alle Grenzübergänge offen seien – was so nicht stimmte –, habe ich den ersten Bericht eines Kamerateams von der Bornholmer Straße abgewartet. Es wurde berichtet, dass man ohne Genehmigungen nach Westen gehen konnte. Dann habe ich gesagt: Alle Grenzübergänge sind offen, jeder wird verstehen, dass ich jetzt arbeiten muss. Und ich bin zum Grenzübergang Invalidenstraße gefahren. Dort war alles voller Menschen, es waren vielleicht zehntausend. Auf einmal verschwanden die Grenzer alle. Ich hatte Sorge, dass die Grenzer schießen würden. Deshalb dachte ich: Du musst die Leute aus diesem Grenzübergang rauskriegen. Also bin ich auf einen Tisch gestiegen, auf dem sonst immer die Rentner ihre Taschen vorzeigen mussten, und habe zu den Leuten geredet. In der Baracke, das habe ich aber erst später erfahren, hat ein Major dann beim Grenzregiment in Rummelsburg angerufen: „Der Momper ist am Grenzübergang.“ „Ja, was macht der denn da?“ „Der hält Volksreden. Sollen wir ihn in den Keller einsperren?“ „Bloß nicht“, haben die in Rummelsburg dann gesagt, denn eine Verhaftung wäre wirklich eine heikle Sache gewesen.

Schabowski (grinsend:) Ich hätte Sie wieder befreit.

Wäre die Geschichte anders verlaufen, wenn alles in den ursprünglich geplanten geordneten Bahnen abgelaufen wäre?

Schabowski: Das konkrete Geschehen wäre vielleicht etwas anders abgelaufen. Der Gang der Geschichte nicht. Statt der Explosion von Euphorie des Augenblicks hätte es Vorfreude, Genugtuung, Erleichterung gegeben. Die Leute hatten begriffen, dass sie durch ihren Druck dieses verhasste Regime dazu gebracht hatten, sogar diese Konzessionen zu machen. Wenn eine solche Partei auf diese Weise ihre Schwäche zeigt, dann spüren die Leute, dass sie nur noch einen Stoß zu geben brauchen, damit sie gänzlich umfällt. Diese Dynamik hatten wir nicht begriffen. Wir hatten das Gegenteil erhofft.

War der 9. November 1989 für Sie der Höhepunkt Ihres politischen Lebens?

Schabowski: Für mich war der Höhepunkt, dass wir es erstens geschafft hatten, Honecker abzusetzen. Und zweitens, dass wir uns zu einem solchen weitgehenden Schritt wie der Grenzöffnung entschlossen hatten, die unter seiner Ägide nicht denkbar gewesen war.

Momper: Es war ein historischer Moment – und wir können sagen: Wir sind dabei gewesen. Für mich war das der Höhepunkt – ganz klar. Und man darf eins nicht vergessen. In dieser Nacht ist die Mauer am Brandenburger Tor vom Westen her gestürmt worden, nicht vom Osten. Stellen Sie sich vor: Einer verliert die Nerven und ballert los. Das ist Gott sei Dank nicht passiert. Das war der größte Gewinn dieser Nacht. Und noch etwas. Das DDR-Innenministerium hatte angekündigt, dass am nächsten Tag um acht Uhr morgens das normale Grenzregime wieder beginnen sollte. Ich habe gleich morgens gehört, dass das nicht der Fall war. Aber wenn es so gekommen wäre, dann hätte das einen Bürgerkrieg bedeutet.

Schabowski: Und wir hätten früher oder später an der Laterne gebaumelt.

15 Jahre später ist von Euphorie nichts mehr zu spüren. Wo liegen die größten Gegensätze zwischen Ost und West?

Momper: Wir sind doch immer noch ein glückliches Volk. Wann passiert es denn, dass eine Revolution ohne Gewaltakte abläuft? Was wir heute als selbstverständlich nehmen, etwa dass die Polen Mitglied in der EU werden, hätte vor 15 Jahren niemand vorausgesagt. Aber es zeigt sich auch: 40 Jahre in zwei unterschiedlichen Gesellschaften führen zu ganz anderen Erfahrungen. An der kulturellen Diskrepanz laborieren wir viel mehr als an allem anderen.

Sie nicken, Herr Schabowski?

Schabowski: Ich sehe es nur in Nuancen anders. Wer Ende 1989/Anfang 1990 vor einer schnellen Vereinigung warnte, wurde von den Erwartungen und dem Willen der Menschen überrollt. Der hätte, wenn schon keine neue Fluchtwelle, so doch eine Massenemigration provoziert. Denken Sie nur an die Parole: Kommt die D-Mark nicht zu uns, dann gehen wir zur D-Mark. So setzte sich der Volkswille weiter durch. Es kamen die Währungsunion und die Einheit – und damit die Wunschvorstellung: Was noch an Unterschieden da ist, wird sich schnell verflüchtigen.

Die PDS nimmt auf, was an Unmut da ist. Vor zwei Jahren sah es so aus, als sei sie am Ende. Jetzt bekommt sie in Umfragen sechs Prozent. In zwei Bundesländern regiert sie mit. Was wird aus ihr?

Momper: Sie ist eine Regionalpartei – aber anders als die CSU in Bayern hat sie kein genuines Programm, das ihr auf Dauer ihr Überleben als Regionalpartei sichert. Zum Beispiel Hartz IV: Man kann nicht in der Regierung sein und das genaue Gegenteil wollen. Ob in Berlin Senatorin Knake-Werner Hartz wirklich durchführen will, wird in Zweifel gezogen. Jedenfalls ist die Partei noch weit entfernt von einer eigenständigen Rolle im deutschen Parteiensystem.

Schabowski: Da besteht zwischen uns ein Gegensatz. Ich halte es für nicht akzeptabel, diese Partei zum Koalitionspartner zu machen. Ich sehe in der PDS noch sehr viel von dem Duktus jener Partei, aus der ich stamme. Wenn sich die PDS elastisch gibt und in die Rolle des willigen Partners der SPD schlüpft, sehe ich das als notgedrungene Zweckanpassung an die Verhältnisse. Ohne diese Anpassung würde sie nicht überleben. So verhalten sich kommunistische Parteien: In Zeiten der Niederlage verstehen sie es, die Spielräume der Demokratie zu nutzen. Damit setzt sich die bundesdeutsche Gesellschaft meines Erachtens zu wenig auseinander. Das ist die Großmut der Demokratie – oder auch: ihre Erinnerungsschwäche.

– Das Gespräch führten Werner van Bebber, Matthias Schlegel und Axel Vornbäumen. Die Fotos machte Thilo Rückeis.

PRÄSIDIAL

Der 59-jährige Walter Momper ist heute Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses – zur Zeit des Mauerfalls war er Regierender Bürgermeister. Beharrlichkeit, Ehrgeiz und ein wenig Glück hatten den SPD-Politiker im März 1989 in das Amt des Regierenden gebracht.

PARTEILICH

Momper, der Politikwissenschaftler, kannte die Berliner SPD als Fraktions- und Landeschef. Er galt als Parteilinker. Mit der Alternativen Liste bildete seine SPD einen Senat, der durch seine Frauenfreundlichkeit – acht Senatorinnen gehörten ihm an – ebenso auffiel wie durch seine Zerbrechlichkeit: Er hielt nur bis November 1990.

PROMINENT

Fast ebenso prominent wie durch seine politische Arbeit wurde Momper durch eine Äußerlichkeit: als Mann mit dem roten Schal.

AUFSTIEG

1929 in Anklam geboren, wurde Günter Schabowski Journalist. Ab 1979 war er Chefredakteur des „Neuen Deutschland“. Seit 1952 in der SED, stieg er 1984 ins Politbüro auf. 1985 wurde er SED-Parteichef Ost-Berlins. Neben Krenz galt er als potenzieller Nachfolger von Parteichef Honecker.

GIPFELPUNKT

Am 18. Oktober 1989 gehört Schabowski zur Gruppe derjenigen, die Honecker zum Rücktritt zwingen. Am 9. November 1989 verkündet er unter dem Druck der Proteste die Maueröffnung.

ABSTURZ

Im Politbüro-Prozess wird Schabowski zu drei Jahren Haft verurteilt, nach neun Monaten aber begnadigt. Von seiner früheren Ideologie und seinen Mitkämpfern hat er sich radikal abgewandt, wofür er von vielen als Verräter bezeichnet wird. Er lebt als Rentner in Berlin.

-

Zur Startseite