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Politik: Auf halbem Weg zu Gott

Missionar zwischen den Stühlen: Günter Nookes Alternative zur Jugendweihe

Von Matthias Schlegel

Günter Nooke regt sich nicht auf. Er sagt das ganz nüchtern. Obwohl es die Erkenntnis ist, die ihn seit dem Umbruch in der DDR umtreibt. Günter Nooke ist Christ, kommt aus dem Lager der Bürgerrechtler und ist heute in der CDU. Seine Erkenntnis geht so: „Die Re-Christianisierung des Ostens hat nicht stattgefunden.“ Vor allem im Frühjahr kann man das sehen, wenn landauf, landab wieder zehntausende 13- und 14-Jährige zu den Jugendweihefeiern strömen – wie in der DDR. Das Ergebnis jahrzehntelanger atheistischer Erziehung. Zur Konfirmation geht auch heute nur eine kleine Minderheit.

Drei Mal in seinem Leben hat sich Günter Nooke für seine christliche Überzeugung und gegen die Jugendweihe entschieden: 1973 zieht er in seiner Heimatstadt Forst in Brandenburg die Konfirmation dem staatlichen Ritual mit Nationalhymne und Bekenntnis zum Sozialismus vor. Für diese „erste bewusste politische Entscheidung“, wie er heute sagt, nimmt der 14-Jährige in Kauf, dass er das Abitur auf einem Umweg machen muss. Anfang der 90er Jahre weigert sich Nooke, der bei den Grünen in die brandenburgische Landespolitik einsteigt, auf Jugendweihen als Redner aufzutreten. Noch einmal zehn Jahre später geht der inzwischen zur CDU gewechselte Bundestagsabgeordnete dann sogar zum Gegenangriff über und gründet den Verein zur Förderung des Maiglockenfestes. Die „Maiglocke“ soll für Jugendliche aus den neuen Ländern, die nicht getauft sind – und das sind 80 Prozent –, eine Alternative zur Jugendweihe werden.

Das Maiglockenfest soll dem Wunsch nach einer gemeinsamen Feier an der Schwelle zum Erwachsenwerden Rechnung tragen – aber auf der Grundlage christlicher Wertvorstellungen. „Wir machen keine ,Konfirmation light’, wir wollen nicht missionieren und verlangen keine Bekenntnisse“, sagt Nooke. Aber er wollte sich einfach nicht damit abfinden, dass eine vor 150 Jahren als Gegenbewegung zur Kirche entstandene Tradition, die in der DDR zum atheistischen Treueschwur auf den Staat kultiviert wurde, fortlebte. Er war überzeugt: Würde man seinem Maiglockenfest mit klassischer Musik und prominentem Festredner einen würdigen Rahmen geben und die Jungen und Mädchen in Kursen darauf vorbereiten, dann liefen ihm die Konvertiten aus dem Jugendweihe-Lager nur so zu. Am Ende des Festes sollte jedes Mädchen und jeder Junge eine kleine bronzene Glocke mit nach Hause nehmen: Die soll ein bisschen an die Kirche erinnern, weil „die Leute vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben“. Und sie soll an die Demokratie gemahnen – wenn ein Versammlungsleiter die Glocke läutet, mahnt er zur Ruhe, ruft zur Ordnung. Viel Symbolik und viel Inhalt für wenig Geld: 120 Euro zahlen die Eltern für das ganze Programm – mit mehreren thematischen Veranstaltungen einschließlich einem Kirchenbesuch, einer dreitägigen Wochenendfahrt und eben der Feier. Das ist vergleichsweise billig und bei weitem nicht kostendeckend. „Die Vereinsmitglieder und das eine oder andere Unternehmen helfen mit Spenden aus“, sagt Nooke. Die einstige Treuhand-Chefin Birgit Breuel, der Moderator Peter Hahne, der Basketballer Henrik Rödl und der Wissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker sorgten als Ehrenmitglieder für Renommee. Um das Inhaltlich-Praktische kümmert sich Vereinspräsident Nooke mit den früheren Bürgerrechtlern Ehrhart Neubert und Konrad Weiß sowie dem Religionsphilosophen Thomas Brose, dem Hochschulprofessor Richard Schröder (SPD) und der CDU-Bundestagsabgeordneten Katherina Reiche. Doch die Ausbeute war trotz des großen intellektuellen Einsatzes dürftig: 2002, zum ersten Maiglockenfest, saßen neun Jungen und Mädchen im Palais am Festungsgraben, im vergangenen Jahr 13 im Gebäude der Commerzbank am Brandenburg Tor.

Nach drei Maiglocke-Jahren musste Nooke nun einsehen, dass es schier aussichtslos ist, sich gegen die Großen der Branche, die Jugendweihe-Vereine mit ihren aus DDR-Zeiten überkommenen personellen und organisatorischen Strukturen und die ostdeutschen Ableger der Humanistischen Verbände zu behaupten. Was die Kirchenglocken nicht geschafft haben, gelang also auch der „Maiglocke“ nicht. Zumal dem Verein die erhoffte Unterstützung durch die Kirchen weitgehend versagt blieb. Eigentlich hatte man Treuhänder der Kirchen sein wollen. Doch der damalige Berlin-Brandenburgische Bischof und heutige evangelische Ratspräsident Wolfgang Huber habe gleich anfangs sein Missfallen ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht, sagt Nooke. Nach dem Motto: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Der Verein hatte vergeblich mit dem verbindlicheren „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns“ zu werben versucht.

Diese Situation erinnert an Nookes Zeit als brandenburgischer Landtagsabgeordneter. Er setzte sich dafür ein, dass 1990 im ersten Potsdamer Koalitionsvertrag die Einrichtung eines Faches „Lebenskunde, Ethik, Religionskunde“ (LER) an den Schulen vereinbart wurde. Was als sanfte Heranführung der weitgehend atheistisch erzogenen ostdeutschen Jugend an das Christentum intendiert war, löste einen jahrelangen Streit aus. Von den Kirchen wurde LER als Konkurrenz empfunden und als unvereinbar mit dem schulischen Auftrag abgelehnt.

In dieser Potsdamer Zeit hat sich Nooke daran gewöhnt, auf verlorenem Posten zu stehen und dennoch nicht aufzugeben. „Vielleicht müssten wir mehr Werbung machen“, sagt er. „Ein paar hundert Jugendliche sollten es künftig schon sein.“ Am 20. Mai, dem Himmelfahrtstag, werden zehn Jungen und Mädchen mit ihren Eltern und Verwandten das Maiglockenfest feiern.

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