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Politik: Auf wen Verlass ist

Umweltverbände fordern ein Machtwort Schröders zu Gunsten des Emissionshandels – die Firmen wollen mehr Zeit

DER STREIT UM DEN ABGASHANDEL

Noch gibt es keinen Termin für ein Machtwort von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Streit um den Klimaschutz. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg widersprach am Mittwoch Berichten, es werde am Donnerstag ein Gespräch mit den streitenden Ministern Wolfgang Clement (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) geben.

Bevor Schröder selbst in den Streit um den Zuteilungsplan für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) eingreift, erinnerten ihn internationale Umweltverbände mit einem offenen Brief an seine Verantwortung in der globalen Klimadebatte. Eben weil Deutschland bisher einen guten Ruf beim Klimaschutz und beim Ausbau der erneuerbaren Energien genieße, gefährde es seine Glaubwürdigkeit, wenn die Industrie womöglich sogar mehr CO2 ausstoßen dürfe als bisher, sagte Jennifer Morgan, Chefin der WWF-Klimakampagne, dem Tagesspiegel. Sie bewertet den Kompromissvorschlag, den der Chef des Kanzleramts, Frank- Walter Steinmeier, vorgelegt und den Clement abgelehnt hatte, als zu weitgehend. Darin war Steinmeier der Industrie bereits weit entgegengekommen und wollte ihr mehr CO2-Emissionen zugestehen, als diese in ihrer Klima-Selbstverpflichtung zugesagt hatte. Morgan schloss nicht aus, dass Russland seine Zustimmung zum Kyotoprotokoll endgültig verweigern könnte, wenn Deutschland das Signal aussende, dass „Klimaschutz doch nicht so wichtig ist“.

Der Chef der deutschen Emissionshandelsstelle, Hans-Jürgen Nantke, wies darauf hin, „dass gar nicht gehandelt werden wird, wenn alle Marktteilnehmer bedarfsgerecht mit Emissionsrechten ausgestattet werden“. Außerdem warnte er davor, den Zeitplan zu gefährden. Schließlich sollen die Verschmutzungsrechte bis zum 30. September an die Unternehmen ausgegeben sein. Ohne rechtliche Grundlage sei das nicht möglich.

Die Fraktionen suchten mit Clement, Trittin und Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) am Mittwochabend nach einem Kompromiss im Streit um den Emissionshandel, der am 1. Januar 2005 europaweit starten soll. Die Fachleute in den Fraktionen halten eine Lösung nahe am Steinmeier-Papier für wahrscheinlich. Allerdings verlöre Clement dann sein Gesicht. Doch fragen sich die Fachleute, wo überhaupt noch Verhandlungsspielräume bestehen. Denn je stärker die Industrie entlastet wird, desto mehr CO2 müssen die Haushalte und der Verkehr einsparen, um die deutsche Klimaverpflichtung einzuhalten. Komme der Emissionshandel nicht, sagt der Klimaexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Joachim Ziesing, müsste die Ökosteuer erhöht werden.

Das Öko-Institut hat errechnet, welche Konsequenzen es hätte, wenn die Industrie ihre Klima-Selbstverpflichtung nicht einhalten muss. Würde die Industrie im Jahr 2012 statt der von Trittin geplanten 480 Millionen Tonnen CO2 488 Millionen Tonnen des klimaschädlichen Gases ausstoßen, dürften die Emissionen beim Verkehr nicht mehr wachsen. Handel und Dienstleistungen müssten ihre Emissionen um 5,4 Prozent senken und die Haushalte sogar um 7,7 Prozent. Um das zu erreichen, müsste die Regierung jedes Jahr eine Summe zwischen einer und drei Milliarden Euro für die Sanierung von Altbauten aufwenden, sagt Felix Christian Matthes vom Öko-Institut. Angesichts der Finanzlage ein kaum wahrscheinliches Szenario.

Länder unterstützen Clement

Ungeachtet dessen wollen einige Länder an diesem Freitag Wolfgang Clement zu Hilfe eilen. Der NRW-Wirtschaftsminister Harald Schartau (SPD) sagte, die Industrie könne „politische Rahmensetzungen, die den konjunkturellen Aufschwung gefährden, nicht brauchen“. Dieser Meinung sind auch die Betriebsräte der Energiewirtschaft und der Stahlbranche, die am Wochenende eine Anzeigenkampagne starten, um für ihre Betriebe höhere CO2-Zuteilungen zu erreichen. In den ostdeutschen Bundesländern dagegen erhebt sich Protest, dass ihre „Vorleistungen“ zu wenig berücksichtigt würden. Die Industrie verlangt bis 2007 gar keine CO2-Minderungen. Sie will ihr Klimaversprechen erst später einhalten. Das hält Matthes für eine „unredliche Argumentation“. Der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrats der Regierung, Volker Hauff, kritisierte in „Powernews“, dass die Industrie versuche, sich „aus ihrer eigenen Selbstverpflichtung zu stehlen“. Weiter sagte er: „Wir müssen fürchten, dass wenig Verlass ist auf die Zusagen der deutschen Unternehmer.“

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