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Politik: Aufbruch durch Abbau

CDU-Chefin Merkel hat eine Vision: Die Republik braucht „zweite Gründerjahre“ – und Lust auf Veränderung

Von Robert Birnbaum

Was würde der CDU fehlen, wenn die ostdeutsche Polit-Anfängerin Angela Merkel ihr nicht 1990 beigetreten wäre? Jemand hat das die CDU-Chefin neulich gefragt, und sie stellt ihre Antwort an den Anfang einer Rede, in der sie auf den ersten Blick gar nichts zu suchen hat: „Ich!“ Aber die Anekdote passt schon. „Quo vadis, Deutschland“ heißt der Titel über Merkels Vortrag zum Jahrestag der Einheit, von der Konrad-Adenauer-Stiftung hinter dem Rednerpult im Lichthof des Deutschen Historischen Museums im Zeughaus plakatiert – „Deutschland, wohin gehst du?“ Doch genauso gut könnte da stehen: Quo vadis, Angela? Die Antworten sind deutlich für eine Politikerin, der viele vorwerfen, sie drücke sich um Positionsbestimmung.

Deutlicher als bisher legt sich die Partei- und Fraktionsvorsitzende im Kurzfristigen fest auf eine taktische Vorgabe der Union für den harten Herbst. „Zwölf Monate nach der Bundestagswahl wäre es für die Union ein Leichtes, das Land vor die Wand fahren zu lassen“, sagt Merkel. „Aber das wird es mit mir nicht geben.“ Manche in den eigenen Reihen warnten vor der Konsensfalle – vor der sei ihr nicht bange. Die Union werde mit der Regierung um Kompromisse nach der Leitlinie: „Besser ein Kompromiss mit Schwächen als gar nichts tun.“ Denn „wir müssen mehr für Deutschland tun, und jeder muss bei sich anfangen“ – der Doppel-Vor-Satz zieht sich durch die ganze Rede. Eine Absage an taktische Blockade also, wobei Merkel Parteipolitikerin genug ist, ein Nein am Ende offen zu halten – wenn „die Nachteile die Vorteile überwiegen“.

Nur logisch bei diesem Ansatz ein klares Lob für das Projekt Koch/Steinbrück zum Subventionsabbau; folgerichtig der Aufruf, dem Rasenmäher-Prinzip im übertragenen Sinne mehr Raum zu geben: „Unser Land hat genug vom Wettbewerb der Egoisten“, sagt die CDU-Chefin, und dass es aufhören müsse, dass jeder auf seine „Prügelminderheiten“ haue, die einen auf Sozialhilfeempfänger, die anderen auf Reiche.

Um einiges deutlicher als bisher lässt Merkel zugleich durchblicken, wohin sie auf längere Sicht steuert. Die Vorlage hat ihr die Herzog-Kommission geliefert mit dem Ansatz, die Sozialsysteme – Rente, Gesundheit, Arbeitslosenversicherung, Pflege – auf weniger Leistung und mehr Eigenleistung umzustellen. „Entweder mehr Eigenverantwortung bei überschaubaren Risiken oder Zwei-Klassen-Medizin in allen Bereichen“ – was sie zur Krankenkasse sagt, soll so für alle Systeme gelten, ja für den Staat als Ganzes. Auf die Rolle eines „Schlichters der Interessengegensätze“ müsse er sich konzentrieren – was im Zweifel aber auf der anderen Seite der Freiheitsmedaille auch Steuersubvention für Niedriglöhne heiße.

Harte Botschaften, die demnächst die Basis in Regionalkonferenzen diskutieren soll. Aus dem CDU-Sozialflügel kommt schon Protest. Aber für Merkel liegt in der rheinisch-katholischen Variante von Kapitalismus wenig Zukunft. Ihr Idealrezept für eine geistig-ökonomische Wende mischt den „Geist der Gründerjahre“ der Bundesrepublik mit dem Geist des Aufbruchs der DDR-Bürger vor 13 Jahren. Womit das Datum der Rede am Ende auch eine Erklärung findet.

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