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Politik: Aufgewärmte Erkenntnisse

Die Unionsfürsten berufen sich beim Protest gegen die Gesundheitsreform auf ein neues Gutachten – doch das enthält nur alte Zahlen

Die Aufregung war groß am Donnerstagabend, als die Ministerpräsidenten der Union sich zum üblichen Vorgespräch für den Bundesrat trafen. Günther Oettinger machte den Anfang: „Mit allen mir zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln“, empörte sich der Baden- Württemberger, werde er zu verhindern wissen, dass bei der Gesundheitsreform Unsinn umgesetzt werde. Was – andere stimmten ein, Edmund Stoiber am lautesten – insbesondere dann gelte, wenn einige Länder durch die Reform massiv draufzahlen müssten. Anderntags im Bundesrat griff Stoiber innerlich zum Megafon. Es war das Startsignal für alle Gegner der Gesundheitsreform, jetzt ihrerseits erneut zur Jagd zu blasen.

Auslöser dieser Aufregung ist ein Gutachten, das ein „Institut für Mikrodatenanalyse“ in Kiel erstellt und die „Initiative Soziale Marktwirtschaft“ verbreitet hat. Die Studie kommt zu einem Schluss, der gerade großen Unionsländern gar nicht gefiel: Der Gesundheitsfonds werde die Versicherten in Baden-Württemberg bis zu 1,6 Milliarden Euro zusätzlich kosten, die Bayern rund eine Milliarde, auch Hessen und Niedersachsen müssten draufzahlen; andere wie Nordrhein-Westfalen, der ganze Osten oder auch Kurt Becks Rheinland-Pfalz würden zu den Gewinnern zählen.

Die Studie hat allerdings einen Haken, den ihr Verfasser Thomas Drabinski auch offen benennt: Sie ignoriert kurzerhand jene Regelung, die als „Bayern-Rabatt“ in der Schlussphase der letzten Gesundheitsverhandlungen eine zentrale Rolle spielte. Schon damals hatte Stoiber moniert, dass nach hauseigenen Berechnungen der Gesundheitsfonds die Versicherten in Bayern sogar bis zu 1,7 Milliarden Euro mehr kosten werde. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) kam nur auf rund 30 Millionen. Beigelegt wurde der Konflikt salomonisch: Im Reformgesetz sollte eine „Konvergenzklausel“ dafür sorgen, dass die Mehrbelastung der Versicherten eines Landes jährlich maximal um 100 Millionen Euro steigen dürfe. Die List des Konstrukts, übrigens made in Bayern: Es ist nahezu egal, ob Stoibers Rechnung stimmt oder Schmidts. Hat Stoiber recht, würden die bayerischen Versicherten in kleinen Schritten erst in 17 Jahren voll zur Kasse gebeten; hat die Ministerin recht, existiert das Problem gar nicht.

Dass seine Studie diesen zentralen Punkt des Kompromisses ignoriert, rechtfertigt Gutachter Drabinski mit einer Stellungnahme des Bundesversicherungsamts in der Anhörung zu Schmidts Reformgesetz: „Die Regelung ist in der vorliegenden Form weder zielführend noch umsetzbar“, zitiert er das Amt. Ein „dicker Schnitzer“ im Entwurf sei das, sagt der Diplomvolkswirt und schlussfolgert schlankweg: Der „Bayern-Rabatt“ werde gar nicht kommen.

Wieso es, um diesen Verdacht zu äußern, überhaupt irgendeiner Studie bedarf, ist schwer zu erkennen. Dass die Studie ohne diesen Verdacht ihr Papier nicht wert ist, ergibt sich hingegen logisch. Dass Ulla Schmidt aber den Bayern-Rabatt aushebeln und also den Reformkompromiss aufkündigen wolle, hat der Ministerin bisher gar niemand vorgehalten. Zwar reicht die Schmähkritik am Samstag von „totaler Bankrotterklärung“ (CSU-General Markus Söder) auf Seiten der Unionsländer bis zur Stahlhelmversion des SPD-Gesundheitslinken Karl Lauterbach, der die Sozialdemokraten im Zweifrontenkrieg zwischen Unionsfraktion und Unionsländern liegen sieht und höheren Orts Schützenhilfe einklagt: „Die Kanzlerin lässt uns total hängen.“ Doch so stark im Ton die Vorwürfe sind – so richtig konkret werden sie nicht.

Dass aus alledem trotzdem ein Streit werden kann, der die Koalition zu sprengen droht, steht nach Einschätzung aller Seiten außer Frage. Die Kanzlerin, die an jenem Donnerstagabend in Brüssel war und nichts tun konnte, die aufgeregten Länderfürsten zu besänftigen, versucht es im Nachhinein. Die Regierung sei fest entschlossen, warb Angela Merkel um Weihnachtfrieden, auch alle neuen Probleme zu lösen – und zwar „gemeinsam mit den Ländern“ und „besonnen“.

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