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Präsident Recep Tayyip Erdogan.

© dpa

Aufhebung von Immunität in der Türkei: Das Parlament entrechtet sich - ganz im Sinne Erdogans

Die Demokratie der Türkei macht einen Rückschritt. Es ist dasselbe Land, mit dem Angela Merkel einen Deal machen will. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Angela Merkel hat ihr politisches Schicksal durch den Flüchtlingsdeal fatal mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verbunden. Nun beginnt sich das zu rächen. Deutschland und die EU paktieren mit einem Land, in dem sich der Rechtsstaat auf einer abschüssigen Bahn befindet. Es ist der Präsident selbst, der Fundamente einer parlamentarischen Demokratie zum Abriss freigab.

Der Plan, die Türkei zum Partner bei der Bewältigung der europäischen Flüchtlingskrise zu machen, war dem Willen der Kanzlerin entsprungen. Sie wollte sich des Drucks der steigenden Zahl von Asyl-Suchenden genauso entledigen wie der permanenten Kritik der CSU an der Grenzöffnung im September 2015. Dass die Türkei für das Stoppen der Schleuserbanden einen hohen materiellen und politischen Preis fordern würde, war einkalkuliert. Durch die vom türkischen Präsidenten immer weiter vorangetriebene Entdemokratisierung seines Landes muss Merkel nun aber den Pakt mit einem mehr und mehr autoritären Regime verteidigen.

Nach der Selbstentmachtung des Parlaments und der damit möglichen Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten hat Erdogan ein Ermächtigungsgesetz in die Hand bekommen. Es hat nicht die Dimension des NS-Gesetzes vom 24. März 1933, aber eine ähnliche Wirkung. Wer Abgeordneter wird oder bleibt, entscheidet nicht mehr der Wähler auf der Basis geltender Gesetze, sondern Präsident Erdogan nach politischem Kalkül.

Was wird Merkel Erdogan sagen?

Nach den Medien, deren Unabhängigkeit mit Füßen getreten wird, und der Gleichschaltung der Gerichte werden nun jene Parlamentarier verhaftet, deren politische Einstellung Erdogan und dem vom ihm hochgeputschten Volksempfinden nicht entspricht. In der Folge gibt es Nachwahlen, bei denen Erdogan-Hörige gewinnen und endlich die Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten garantieren, um die bestehende Verfassung zu kippen und ein Präsidialsystem einzuführen.

In dieser Situation reist Angela Merkel zu einer UN-Konferenz in die Türkei. Am Montag trifft sie Erdogan. Was wird sie ihm sagen? Welche Bilder werden wir sehen? Wird die Kanzlerin danach ihren Bürgern noch in die Augen schauen können?

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