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Nach dem Feuer im Flüchtlingslager Moria wurden Hunderte von Migranten in ein von der griechischen Armee errichtetes Lager gebracht.

© Petros Giannakouris/dpa

Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria: Österreichs Grüne haben keine Chance bei Regierungspartner Kurz

In Deutschland fordern die Grünen mehr Aufnahmebereitschaft für Geflüchtete. Ihre Parteifreunde in Österreich stoßen bei ÖVP-Kanzler Kurz auf Granit.

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Als Horst Seehofer im Bundestag zur Flüchtlingspolitik und zum abgebrannten griechischen Lager Moria befragt wird, legt der Bundesinnenminister seinen Finger in die Wunde. „Ich habe von Regierungen, wo Grüne beteiligt sind, null Komma null Unterstützung“, sagt der CSU-Politiker. Eine Anspielung auf die Regierung von Sebastian Kurz in Österreich, der keine Flüchtlinge aus Lesbos aufnehmen will.

In Deutschland bekommt Seehofer von den Grünen vorgehalten, die Zusage der Bundesregierung, 1553 Flüchtlinge von den griechischen Inseln nach Deutschland zu holen, sei nicht ausreichend. Doch in Österreich haben die dort mitregierenden Grünen es bisher nicht geschafft, Kurz von seiner harten Linie zu Moria abzubringen.

Dass es in der konservativ-grünen Koalition in Österreich früher oder später zu Problemen kommen würde, war absehbar. Bei den Koalitionsverhandlungen Anfang des Jahres ließen beide Partner sich bei ihren Kernthemen Spielraum. Regierungschef Kurz brachte den Geist der Koalition auf die Formel: „Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen.“ Mehr Ökologie, aber eine harte Linie in der Flüchtlingspolitik – das war sein Credo.

Die ÖVP könnte gemeinsame Sache mit der rechten FPÖ machen

Bei den deutschen Grünen sorgte damals vor allem ein Passus im Kapitel zur Flüchtlingspolitik für Irritationen, der es den Koalitionspartnern ermöglicht, bei „besonderen Herausforderungen“ im Fall einer Nicht-Einigung eigene Gesetzesvorhaben ins Parlament einzubringen. Die konservative Regierungspartei ÖVP könnte dort also gemeinsame Sache mit der rechten FPÖ machen, die rechnerischen Mehrheiten wären vorhanden. Als Drohkulisse steht dieses Szenario seitdem im Raum.

Dass Seehofer nun vor allem die Grünen in Österreich angreift, findet die Grünen-Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg eine „traurige Nummer“. Seit Jahren blockierten die rechten und konservativen Regierungen eine solidarische Verteilung in Europa, kritisiert die flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion. Es sei „einfach nur schäbig“, wenn Seehofer den Eindruck erwecke, die Grünen in Österreich wollten keine Aufnahme. „Das Gegenteil ist der Fall“, sagt Amtsberg.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth kritisiert ebenfalls den „billigen Versuch“, ihren Parteifreunden einen Vorwurf zu machen. „Bei aller berechtigten Kritik an den österreichischen Grünen ist die Frage doch, wer dort für die Aufnahme ist und wer dagegen, nämlich Herr Kurz und den muss man hart kritisieren“, sagt sie.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sperrt sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sperrt sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria

© Georg Hochmuth/dpa

Auch aus Sicht ihrer Fraktionskollegin Franziska Brantner ist der österreichische Regierungschef das Problem. „Seehofer sollte seinen Pateifreund, der einer der Lieblingsgäste der CSU ist, ins Gebet nehmen“, mahnt die europapolitische Sprecherin der Fraktion. Noch hätten die Grünen in Österreich außerdem nicht aufgegeben. „Die kämpfen weiter“, sagt sie.

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Dass ÖVP und Grüne sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen von den griechischen Inseln nur schwer einigen können, hat die österreichische Grünen-Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic nicht überrascht. „Schon während der Koalitionsverhandlungen war klar, dass wir in der Flüchtlingspolitik konträre Positionen vertreten“, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

Deshalb hätten die Grünen auch darauf bestanden, dass Österreich sich auf europäischer Ebene für ein gemeinsames Asylsystem einsetzt und dafür, legale und sichere Fluchtwege nach Europa zu schaffen. „Ohne diese Zusage wäre die Koalition für uns nicht tragbar gewesen“, sagt sie. Nun gehe es in den kommenden Wochen darum, dass Österreich in dieser Frage auch „am Verhandlungstisch“ sitze – und nicht außerhalb.

Beim Thema Moria will die Grünen-Politikerin weiter Druck auf den Koalitionspartner ausüben. Sie war vor einigen Tagen vor Ort, spricht von „Schreckenslagern“. Die Grünen würden „nicht zulassen, dass das Thema unter den Teppich gekehrt wird“, sagte Ernst-Dziedzic.

Sollten die Grünen die Reißleine ziehen?

Doch ist wegen Moria der Punkt erreicht, an dem die österreichischen Grünen aus Sicht ihrer deutschen Parteifreunde die Reißleine ziehen sollten? Die Abgeordnete Amtsberg sieht die Gefahr, dass die ÖVP mit der FPÖ die Hilfe für Geflüchtete sogar weiter einschränken könne. „Aus der Koalition rauszugehen und damit eine konservativ-rechte Regierung zu ermöglichen, wäre für die europäische Flüchtlingspolitik gerade jetzt katastrophal.“ sagt sie. Die österreichischen Grünen seien sich dieser Verantwortung bewusst. „Das ist ein Dilemma.“

Brantner findet es ebenfalls richtig, dass ihre Parteifreunde in Wien die Koalition nicht wegen der Flüchtlingsfrage verlassen, auch wenn sie Situation alles andere als leicht sei. „Die Regierung mit der FPÖ war ein Desaster“, sagt sie mit Blick auf die Vorgänger-Koalition.

Ähnlich formuliert es die Grünen-Politikerin Roth: Mit ihrer Koalitionsentscheidung hätten die Grünen in Österreich letztlich „auch verhindert, dass die restriktive und EU-feindliche Linie der FPÖ fortgesetzt werden konnte“.

Dennoch seien gerade die Vereinbarungen zur Flüchtlingspolitik „sehr hart“, sagt Roth. Die Grünen-Politikerin hatte nach der Bundestagswahl im Herbst 2017 bei den Jamaika-Sondierungen mit Vertretern von Union und FDP das Kapitel Flüchtlingspolitik verhandelt. Vor allem über den Familiennachzug gab es damals harte Auseinandersetzungen. Es waren Gespräche, von denen die Grünen im Nachhinein sagten, sie seien „an die Schmerzgrenze“ und „darüber hinaus“ gegangen.

Roths Lehre aus den Sondierungen von damals ist: „Wir können nur mehr erreichen, wenn wir bessere Ergebnisse haben“, sagt sie. Wer mit den Grünen zusammenarbeiten wolle, müsse wissen, dass der Partei die Themen Flucht, Migration und die Einhaltung von Menschenrechten „sehr wichtig“ seien.

„Wir dürfen die Innenpolitik nicht der Union überlassen.“

Auch Amtsberg macht sich keine Illusionen, dass in Deutschland Gespräche mit der Union über eine gemeinsame Flüchtlingspolitik nicht einfach wären - sollte es nach der Bundestagswahl 2021 zu Koalitionsverhandlungen kommen. „Unser Anspruch ist es, in der Innenpolitik ein Umdenken hinzubekommen“, sagt sie. „Wir dürfen dieses Feld nicht der Union überlassen.“

In der europäischen Flüchtlingspolitik verfolgten Union und Grüne gerade offensichtlich einen unterschiedlichen Ansatz, sagt Amtsberg. Der Innenminister wolle Asylverfahren faktisch an die EU-Außengrenzen verlegen und mit so genannten Vorprüfungen große Teile von Geflüchteten von einer Verteilung ausschließen.

Die Grünen hingegen plädierten für „menschenwürdige Erstaufnahmeeinrichtungen“, in denen Flüchtlinge ankommen und ihre Identität überprüft wird. Nach sehr kurzer Verweildauer sollten sie dann in die Mitgliedstaaten in Europa verteilt werden, wo die Asylanträge bearbeitet werden und von wo die Betroffenen entweder integriert oder im Fall einer Ablehnung zurückgeführt werden. „Nur so können wir dafür sorgen, dass diese menschenunwürdigen Zustände auf den griechischen Inseln beendet werden und wir Europas Grundwerte bewahren“, sagt Amtsberg. Eine solidarische Lösung in Europa bedeute, auch die Asylverfahren als Gemeinschaftsaufgabe anzusehen.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner

© Mike Wolff

Auch Brantner übte scharfe Kritik an Innenminister Seehofer. „Er tut jetzt so, als sei er der große Europäer. Dabei hat er in den letzten Jahren nichts dafür getan, dass es eine europäische Regelung zur Flüchtlingsaufnahme gibt“, sagte sie. Er habe „abwegige Vorschläge“ gemacht, bei denen von vornherein klar gewesen sei, dass sie keine Chance auf Umsetzung hätten – wie Lager in Nordafrika einzurichten.  

Auch jetzt beharre er auf dem Plan, dass die EU-Mitgliedstaaten künftig nur Schutzbedürftige mit positivem Asylbescheid aufnehmen. „Auf Deutschland übertragen wäre das so, als ob Bayern und Baden-Württemberg alle Asylverfahren allein bearbeiten und dann diejenigen weiter nach Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern schicken, die ein Bleiberecht haben“, sagt Brantner. So einen Mechanismus würde Bayern auch niemals akzeptieren.

Auch die südeuropäischen Länder, in denen die Menschen nach ihrer Flucht übers Mittelmeer zuerst ankämen, würden einen solchen Kompromiss nicht mitmachen, ist Brantner überzeugt „Damit verhindert auch Seehofer eine europäische Lösung.“

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