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Politik: Aufräumarbeiten auf dem Trümmerfeld - In Frankreich macht die Linke liberale Wirtschaftspolitik - und die bürgerliche Rechte schaut zu

Frankreich habe die dümmste Rechte der Welt, lautet ein gern zitiertes Bonmot. In der Tat muß man schon reichlich dumm sein, um zuerst die sichere Regierungsmacht zu verspielen und dann die überfällige Erneuerung zu verschlafen.

Frankreich habe die dümmste Rechte der Welt, lautet ein gern zitiertes Bonmot. In der Tat muß man schon reichlich dumm sein, um zuerst die sichere Regierungsmacht zu verspielen und dann die überfällige Erneuerung zu verschlafen. Drei Jahre sind nun schon seit den verlorenen Parlamentswahlen 1997 vergangen, ohne dass sich Frankreichs bürgerliche Rechte auf einen anerkannten Oppositionsführer, eine schlagkräftige Struktur oder ein überzeugendes Programm geeinigt hätte.

Mit Dummheit allein ist die Dauerkrise der Gaullisten, der Zentristen und der Rechtsliberalen indes nicht zu erklären. Der Niedergang hat teils historische, teils strukturelle Gründe. Geschichtlich gesehen hat sich die größte bürgerliche Bewegung, der Gaullismus, schlicht und einfach überlebt. General de Gaulle taugt heute noch für großartige Geschichtsbücher, faszinierende Theaterstücke und nostalgische Pilgerfahrten an sein Grab in Colombey. Doch sein Konzept von der einzigartigen "Grandeur" Frankreichs ist für Tagespolitik im 21. Jahrhundert unbrauchbar.

Daher war es nur logisch, dass sich die Gaullisten eines Tages auflösen oder spalten würden. Im vergangenen Jahr kündigte der "Urgaullist" Charles Pasqua dem "Neogaullisten" Jacques Chirac die Gefolgschaft und gründete eine neue Partei. Seither ist der Gaullismus als einheitliche große Sammlungsbewegung tot, der erzkonservative Pasqua und der liberale Chirac streiten sich um das Erbe. Die Debatte kreist aber nicht etwa um die rechte Auslegung von de Gaulles alten Lehren, sondern um die Zukunft Europas. Pasqua will zurück zum "souveränen" Frankreich. Chirac hingegen hat sich zum bekennenden Europäer gemausert, er vertritt das Konzept einer Großmacht Europa.

Der EU-Streit ist denn auch ein struktureller Grund, warum die französische Rechte am Boden liegt. Ein anderer - und bei weitem der wichtigere - ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Als Präsident Chirac 1995 an die Macht kam, versprach er ein sozialverträgliches "Frankreich für alle" und eine Abkehr vom liberalen "Einheitsdenken". Kurz darauf schwenkte er auf Maastricht-Kurs, leitete Sparmaßnahmen ein und ließ den versprochenen "Marschall-Plan" für die heruntergekommenen Vorstädte fallen. Chirac setzte also genau jene Politik fort, mit der er eigentlich brechen wollte.

Erst die 1997 an die Macht gekommenen Sozialisten machten das, was Chirac zwei Jahre zuvor versprochen hatte: eine intelligente, sozial verträgliche Politik der Modernisierung. Für Chirac ist dies gut - seitdem Premierminister Jospin regiert, schwebt er auf einer Wolke der Popularität. Für die oppositionelle Rechte hingegen ist dies eine schwere Bürde. Sie weiß schlicht nicht mehr, was sie wirtschafts- und sozialpolitisch anders oder besser machen könnte als Jospin. Bis auf die unpopuläre Abschaffung der 35-Stunden-Woche fällt ihr nichts Eigenes mehr ein; selbst Steuersenkungen haben die Sozialisten aus dem Programm der Liberalen übernommen.

Ein weiterer struktureller Grund für die Lähmung der Pariser Rechten liegt in der sogenannten Kohabitation. Die Zusammenarbeit mit dem Sozialisten Jospin zwingt Chirac und die mit ihm verbundene Rechte zu Kompromissen, bei denen sie ihre Identität zu verlieren droht. Dennoch ist die Lage der französischen Rechten nicht hoffnungslos. Zwei neue Faktoren spielen der bürgerlichen Opposition in die Hände: der Niedergang der extremen Rechten um Nationalistenführer Le Pen - und der Machtverschleiß der Regierung Jospin. Bis zu den nächsten großen Wahlen im Jahr 2002 könnten beide Prozesse so weit gediehen sein, dass die Rechte in Frankreich wieder mehrheitsfähig ist. Derzeit allerdings gleicht sie einem Trümmerfeld, auf dem gerade die Aufräumarbeiten begonnen haben.

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