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Politik: Aufruhr im Armenhaus

In Bolivien gibt es Tote bei Kämpfen unter Minenarbeitern – die Spannung in der Bevölkerung nimmt zu

„Meine Kameraden im Bergbausektor haben nicht sehr effizient mit mir zusammengearbeitet“, seufzte Boliviens erster Indio-Präsident Evo Morales – und entließ seinen Bergbauminister und den Präsidenten der staatlichen Minengesellschaft. Zuvor waren bei Unruhen in einem Bergwerk 16 Menschen ums Leben gekommen. Bei den Unruhen in der verarmten Bergwerkstadt Huanuni kämpften bis zum Freitag vom Staat angestellte Arbeiter gegen Mitglieder unabhängiger Kooperativen mit Dynamit, Stöcken und Steinen gegeneinander.

Doch das ist längst nicht die einzige Sorge des linksgerichteten Präsidenten Morales: Proteste von Kokabauern und Gewerkschaftern, außenpolitische Probleme wegen der geplanten Verstaatlichung des Energiesektors und Abspaltungstendenzen der reichen Provinzen haben ein Klima der Konfrontation in dem verarmten Andenland geschaffen. Morales’ Popularität ist von 81 auf 51 Prozent gesunken. Die Probleme Boliviens sind selbst für den Indigena schwer zu lösen. Zehn Monate nach seinem Amtsantritt steckt seine „friedliche Revolution“ in der Sackgasse. Morales hat die Wahl, zu autoritären Mitteln zu greifen oder gravierende Einschnitte an seinem Programm hinzunehmen.

Größter Stolperstein ist die „Constituyente“, die verfassunggebende Versammlung, eines der zentralen Wahlkampfversprechen von Morales. Da es den Anhängern des Präsidenten wider Erwarten nicht gelang, die Zweidrittelmehrheit in dem 255-köpfigen Gremium zu erobern, verfügte Morales’ „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) eigenmächtig, dass die einfache Mehrheit für die Beschlussfassung ausreiche und dass die Constituyente bevollmächtigt sei, eine Neugründung des Staates vorzunehmen. Dieser Beschluss ist laut dem Obersten Gerichtshof illegal. Auch die von der Opposition beherrschten, an Bodenschätzen reichen Provinzen Santa Cruz, Pando, Beni und Tarija machen Front gegen die einsame Entscheidung von Morales’ Bewegung. Die oppositionellen Gouverneure drohen, die von der Constituyente auszuarbeitende neue Verfassung in ihren Provinzen zur Volksabstimmung zu stellen. Falls die Verfassung dann abgelehnt wird, sollen in den fraglichen Provinzen autonome Regierungen eingeführt werden. Morales kritisierte die „Kolonialjustiz“, seine Bewegung sprach von einer Boykottpolitik und drohte den Oppositionsführern mit Prozessen wegen Sezession. Das Land, das zwischen einer armen Indigena-Mehrheit im Hochland und den wohlhabenden Mestizen aus den Städten und dem Tiefland gespalten ist, droht wieder einmal auseinanderzubrechen.

Die geplante Verstaatlichung der Energieressourcen steckt ebenfalls in einer Sackgasse. Der Präsident der staatlichen Energiegesellschaft YPFB musste wegen Korruptionsvorwürfen seinen Hut nehmen, und der Energieminister trat zurück, weil sein radikaler Enteignungskurs diplomatische Verwicklungen auslöste. Mittlerweile räumt die Regierung ein, dass die Ende Oktober ablaufende Frist von sechs Monaten zur Neuverhandlung der Verträge mit den internationalen Konzernen vermutlich verlängert werden muss. Bolivien verfügt nach Venezuela über die zweitgrößten Gasreserven Lateinamerikas, hat aber nicht genügend Geld für eigene Investitionen in die Erschließung und Ausbeutung der Vorkommen.

Auch seinen Nachbarn bereitet Bolivien Kopfzerbrechen. In Argentinien ärgert man sich darüber, dass Morales den Gaspreis für das Nachbarland erhöht hat. Auch werden in Argentinien bereits Krisenszenarien mit hunderttausenden von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bolivien ausgearbeitet. Die Beziehungen zu Brasilien sind wegen der Energieverstaatlichung angespannt. Der brasilianische Staatskonzern Petrobras ist der größte Investor im bolivianischen Gassektor, produziert 90 Prozent des Treib- und Brennstoffs für den Binnenmarkt und wehrt sich gegen seine Entmachtung.

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