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Politik: Aufstand des Südens

Kirgistans Opposition ist auf dem Vormarsch – der Stuhl von Staatschef Akajew wackelt

Eigentlich wollte Präsident Askar Akajew die Unruhen in der zentralasiatischen Sowjetrepublik Kirgistan aussitzen. Zeitweilig erwog er sogar die Flucht nach vorn und eine Verhängung des Ausnahmezustands. Doch dafür dürfte es zu spät sein. Auch nach Verhandlungen mit der Opposition, die seinen Rücktritt und die Wiederholung der umstrittenen Parlamentswahlen vom Februar und März fordert, sieht es immer weniger aus.

Die Vertreter der Opposition kontrollieren inzwischen nicht nur die Städte Osch und Dschalal-Abad im Süden des Landes. Die Unruhen griffen auch auf den bisher loyalen Norden über, wo die Gouverneure von Naryn und Talas am Montag von Regimegegnern abgesetzt worden waren – offenbar Rivalen des Siebener-Bündnisses der nördlichen Clans. Das Siebener-Bündnis stützt Akajew und besetzt gegenwärtig alle Schlüsselstellen in dessen Regierung.

Zwar pocht auch die kirgisische Opposition auf demokratische Veränderungen. Doch anders als in der Ukraine entlädt sich bei den gegenwärtigen Unruhen vor allem der alte Konflikt zwischen dem relativ wohlhabenden Norden, dessen Eliten traditionell die Regierung stellen, und dem unterentwickelten Süden mit dem Status einer Halbkolonie. Traditionell ist der Süden die Hochburg der Opposition.

Diese droht inzwischen mit einem Marsch nach Bischkek, der Hauptstadt. Dort kam es am Dienstag erstmals zu Demonstrationen, wobei Anhänger und Gegner des Präsidenten einander nur wenige hundert Meter entfernt gegenüberstanden. Im Süden eskaliert der Aufruhr bereits, es wird geplündert und gebrandschatzt. Doch im Gegensatz zu ihren Vorbildern haben die Führer der kirgisischen Revolution – Ex-Premier Kurnanbek Bakijew und Ex-Außenministerin Rosa Otunbajewa – auch nicht in Ansätzen die Autorität, mit der die siegreichen ukrainischen und georgischen Revolutionäre Gewalt verhindern konnten. Schlimmer noch: In autoritären Regimen wie in Kirgistan können sich weder Oppositionelle noch regierungstreue Nachwuchspolitiker profilieren. Das Machtvakuum, das nach dem kaum noch vermeidbaren Rückzug Akajews entstehen dürfte, könnten daher die Islamisten füllen. Selbst ein Krieg mit der Nachbarrepublik Usbekistan wäre dann nicht auszuschließen.

Ethnische Kirgisen können auf ein langes Nomadentum zurückblicken und sind keine besonders strenggläubigen Muslime. Ihre Bevölkerungsgruppe stellt allerdings nur im Norden des Landes die Mehrheit. Der Süden dagegen ist eine Hochburg des Islam. Usbeken, Tadschiken und Uiguren, die dort dominieren, wehren sich gegen Diskriminierung traditionell mit Hilfe radikaler Moslem-Organisationen wie der Islamischen Bewegung Usbekistans oder der Hizb-ut-tahrir. Beide sind inzwischen verboten und operieren seit Ende der Achtzigerjahre in ganz Zentralasien. Die Keimzelle des angestrebten Gottesstaates sollte der Kreis Batken im Fergana-Tal werden, den sie zwischen 1999 und 2001 mehrfach besetzten und als Basis für Überfälle auf Usbekistan nutzten.

Allein schon wegen dieser Erfahrung dürfte Usbekistan, die mit Abstand stärkste Militärmacht Zentralasiens, eingreifen, sollten sich in Kirgistan die Islamisten durchsetzen. Nebenbei könnte Usbekistan auch alte Gebietsansprüche befriedigen, die nach willkürlichen Grenzziehungen zu Zeiten der Sowjetunion entstanden waren: Usbeken-Präsident Islam Karimow fordert bislang vergeblich einen Korridor für die beiden usbekischen Enklaven im kirgisischen Teil des Fergana-Tals.

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