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Aufstand: Opposition verkündet Regierungsübernahme

Die Opposition in Kirgistan in Zentralasien hat nach eigenen Angaben am Mittwochabend die Macht in der Hauptstadt Bischkek übernommen. Die blutigen Auseinandersetzungen könnten rund 100 Todesopfer gefordert haben.

Die Regierung von Ministerpräsident Danijar Ussenow habe nach dem blutigen Umsturz mit Dutzenden Toten ihren Rücktritt eingereicht. Das berichteten Medien in Bischkek unter Berufung auf Oppositionsführer Temir Sarijew. Zuvor war die Hauptstadt des zentralasiatischen Landes von schweren Unruhen erschüttert worden. Das Gesundheitsministerium bestätigt 65 Todesfälle und berichtet von 180 Verletzten in Bischkek, im ganzen Land dürfte es aber rund 500 Verletzte geben. Die Opposition dagegen sprach allein in der Hauptstadt Bischkek von fast 100 Todesopfern und 223 Verwundeten.

Die Unruhen begannen am Dienstag in der Stadt Talas, als mehrere Demonstranten bei den Behörden erschienen und die Freilassung eines Oppositionellen forderten. Sie überwanden eine Polizeisperre, besetzten das Gebäude und nahmen den Gouverneur als Geisel. Erst am späten Abend konnte die Polizei die Demonstranten mit Gas und Platzpatronen vertreiben. Am Mittwoch weiteten sich die Unruhen nach Naryn, Dschalal-Abat, Issik-Kul und bis zur Hauptstadt Bischkek aus. Demonstranten stürmten das Parlament, den staatlichen Fernsehsender und befreiten von der Polizei festgesetzte Oppositionsführer.

Schon seit einigen Monaten gibt es Unruhen in Kirgistan. Die Menschen protestieren gegen höhere Energiepreise, Medienzensur und den Nepotismus von Präsident Kurmanbek Bakijew, der aus Sicht der Opposition das Land wie ein Familienunternehmen führt: Sein Sohn Maxim leitet die Zentralstelle für Entwicklungshilfe, an die die Auslandskredite für Kirgistan gehen, der Bruder des Präsidenten ist Chef der Staatssicherheit, ein weiterer ist Botschafter in Deutschland.


G

espaltenes Land

Ähnliche Bilder sah die Welt bereits vor fünf Jahren. Ende März 2005 hatten die Massen den damaligen Präsidenten Askar Akajew zum Rücktritt gezwungen und Verfassungsänderungen gefordert, mit denen der Staatschef einen Teil seiner Vollmachten an das Parlament abgibt. Westliche Beobachter hatten den Aufruhr voreilig zur „Revolution der Tulpen“ – sie blühen im Frühjahr überall auf den Bergwiesen in der kleinen, bitterarmen Republik an der Grenze zu China – hochgejubelt und sich eine Demokratisierung für ganz Zentralasien erhofft. Der Wahrheit sehr viel näher kam der abgesetzte Akajew, der die Revolte von Anfang an als Umsturz bezeichnete. In der Tat ging es nicht um Demokratie, sondern um eine Umverteilung der Besitzverhältnisse, bei der Clans aus dem vernachlässigten Süden mit Hilfe halbkrimineller Elemente die traditionell herrschenden Eliten des Nordens beerbten.

Zwar ernannte der von der Revolution an die Macht gespülte Bakijew – der Frontmann des Südens – mit Felix Kulow einen Exponenten des Nordens zum Ministerpräsidenten. Das Tandem zerbrach jedoch schon nach wenigen Monaten. Auch andere Weggefährten kündigten Bakijew, der weder zu den versprochenen Verfassungsänderungen noch zu anderen Reformen bereit war und noch dazu demokratische Grundrechte außer Kraft setzte, die Gefolgschaft und wechselten in die Opposition. Diese brachte bereits mehrmals tausende Unzufriedene auf die Straße, die vor allem gegen die Sozialpolitik Bakijews protestierten. Weit über die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze.

In mehreren Regionen im Norden haben die Massen die Gouverneure bereits abgesetzt und aus ihren Reihen neue ernannt. Die Regierung dementiert dies zwar. Derzeit haben jedoch weder Regierung noch Opposition die Lage im Griff. Die Opposition ist schwach und bei den Massen, die befürchten, erneut instrumentalisiert zu werden, ähnlich unpopulär wie Bakijew. Einige seiner Gegner machen sich darüber offenbar keine Illusionen und haben Russland aufgerufen, sich einzuschalten und Ordnung zu schaffen.

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