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Spurensuche im Nachtclub Reina am Bosporus-Ufer in Istanbul nach der tödlichen Attacke in der Neujahrsnacht.

© AFP

Augenzeugen zur Attacke von Istanbul: "Links waren Schüsse zu hören, also rannten wir nach rechts"

Tödliche Schüsse in der Neujahrsnacht in Istanbul: Was Augenzeugen vom Tatort, dem Nachtclub Reina, berichten.

Er will hinein, schreit, dass er jemanden im "Reina" kenne, wo in der Neujahrsnacht ein Attentäter 39 Menschen erschossen und viele weitere teils schwer verletzt hat. Als ein Polizist einen Arm um seine Schultern legt und ihn an sich zieht, bricht der Mann in Tränen aus. Wie er sind dutzende Menschen nach dem Anschlag vor den Nachtclub am Bosporus gekommen, um Neuigkeiten von ihren Freunden und Angehörigen zu erfahren, die dort Silvester gefeiert haben.

Es war 01.15 Uhr am Sonntagmorgen, als ein als Weihnachtsmann verkleideter Attentäter mit einem Gewehr das Feuer auf die Sicherheitsleute vor dem Eingang eröffnete, bevor er in den zu dieser Zeit mit hunderten Feiernden gefüllten Club eindrang. Zahlreiche Menschen sprangen in Panik in das eiskalte Wasser des Bosporus, an dessen Ufer der aus mehreren Restaurants bestehende Club liegt.

Profifußballer als Augenzeuge

"Gerade als wir uns am Eingang niedergelassen hatten, gab es plötzlich Schüsse. Alles war voller Staub und Rauch", berichtet der Profifußballer Sefa Boydas vom Istanbuler Club Beylerbeyi. Mehrere Frauen seien in Ohnmacht gefallen, auch eine seiner Bekannten. "Ich habe sie auf den Rücken genommen und bin sofort gerannt. In solchen Momenten wartet man nicht. Links waren Schüsse zu hören, also rannten wir nach rechts."

Viele Krankenwagen und enteilende Menschen in der Nähe des Nachtclubs Reina.
Viele Krankenwagen und enteilende Menschen in der Nähe des Nachtclubs Reina.

© Reuters/Stringer

Während Frauen in Cocktailkleidern und Männer mit Papphüten vom Anschlagsort flohen, rasten Polizeiautos und Krankenwagen heran. Die Polizei sei schnell eingetroffen, doch habe sie nicht gewusst, wer der Schütze ist, sagt Boydas. "Sie verdächtigten uns alle." Der Fußballer bezweifelt die offiziellen Angaben, wonach es 39 Tote gab. "Es waren wahrscheinlich mehr. Als ich hinausrannte, traten die Leute auf andere Leute."

17.000 Polizisten sollten Istanbul schützen

Die Istanbuler Polizei hatte für den Jahreswechsel 17.000 Beamte mobilisiert, nachdem es im vergangenen Jahr in der Stadt immer wieder schwere Anschläge der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) sowie der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) beziehungsweise ihrer radikalen Splittergruppe Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) gegeben hatte. Doch die Polizei konnte den Attentäter nicht aufhalten.

"Wir waren gekommen, um einen schönen Abend zu verbringen, doch plötzlich war alles Chaos - eine Nacht des Horrors", sagt Maximilien, ein italienischer Tourist. Wie er waren viele Ausländer zu Neujahr in den ebenso spektakulär gelegenen wie teuren Club unterhalb der großen Bosporus-Brücke im schicken Stadtteil Ortaköy gekommen. Laut der Regierung waren unter den Opfern auch mindestens 15 Ausländer.

Am Morgen danach: Der Nachtclub Reina in Istanbul, am Ufer des Bosporus. In der Neujahrsnacht war der Club Schauplatz einer bewaffneten Attacke mit vielen Toten und Verletzten.
Am Morgen danach: Der Nachtclub Reina in Istanbul, am Ufer des Bosporus. In der Neujahrsnacht war der Club Schauplatz einer bewaffneten Attacke mit vielen Toten und Verletzten.

© Reuters

Im kalten Morgengrauen warten dutzende Krankenwagen in einer langen Schlange vor dem Anschlagsort, um nach und nach die Verletzten und Toten fortzubringen. Eine Frau um die fünfzig geht suchend zwischen den herumstehenden Gruppen vor dem Club umher. "Meine Schwester war drinnen", sagt sie unruhig. "Sie rief mich an und sagte, es gebe Schüsse, das war alles. Ich kann sie seitdem nicht erreichen."

"Mein großer Bruder war drinnen"

Eine Frau in einem roten Mantel mit einer großen Einkaufstasche über der Schulter wartet ebenfalls an der Absperrung. "Mein großer Bruder war drinnen. Gott sei Dank hat er gesagt, dass es ihm gut geht. Ich warte nun auf ihn", berichtet sie, während nach und nach die Schlange der Krankenwagen kürzer wird, bis schließlich ein Polizist den Wartenden mitteilt, dass niemand mehr im Innern des "Reina" ist.

Die Frau im roten Mantel eilt schnell davon mit dem Telefon am Ohr. "Weine nicht, weine nicht, wir kommen", sagt sie. Zurück bleiben schwer bewaffnete Polizisten, die Schals gegen die Winterkälte bis über die Nase gezogen. Doch der Täter ist weiter flüchtig. "Die Polizei hat die notwendige Operation gestartet", versichert Innenminister Süleyman Söylu. "Ich hoffe, er wird schnell gefasst, so Gott will." (AFP)

Luana Sarmini-Buonaccorsi

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