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Günther Taube, Moderatorin Ulrike Scheffer, Auma Obama und Manfred Liebel diskutieren über Kinderarbeit.

© Mike Wolff

Auma Obama bei Tagesspiegel-Diskussion: Kinderarbeit kann auch eine Chance sein

Sollte man Kinderarbeit weltweit verbieten? Darüber diskutierten am Dienstagabend die Gäste einer Podiumsdiskussion der GIZ und des Tagesspiegels.

Auf Kakaoplantagen in Westafrika, in Textilfabriken in Bangladesch oder auf Baustellen in Europa. Kinderarbeit gibt es auf der ganzen Welt. Nach Angaben der UN-Arbeitsorganisation ILO sind 168 Millionen Kinder betroffen. Mehr als die Hälfte (85 Millionen) verrichtet Arbeiten, die ihre Gesundheit, Sicherheit und Entwicklung gefährden. In absoluten Zahlen gibt es die meisten Kinderarbeiter in Asien. Am weitesten verbreitet ist das Problem in Afrika südlich der Sahara: Hier arbeiten 21 Prozent der Kinder.

Wie aber sollte man dagegen vorgehen? Hilft ein Boykott der durch Kinderhände gefertigten Produkte? Oder haben Kinder gar ein Recht auf Arbeit? Darüber debattierten die Gäste der Podiumsdiskussion „Ein Recht auf Arbeit – auch für Kinder?“ zu der die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Tagesspiegel am Dienstagabend eingeladen hatten.

Auf dem Podium saß auch die Schwester von US-Präsident Barack Obama aus Kenia: Auma Obama. Sie ist Gründerin der Stiftung Sauti Kuu, die Kinder dabei unterstützt, für ihre eigenen Interessen einzutreten. Dabei waren außerdem Manfred Liebel, Soziologe und Kinderarbeitsexperte sowie Günther Taube, ehemaliger Leiter der Abteilung Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung der GIZ.

Verbot von Kinderarbeit „geht an Realität vorbei"

Die Hauptursache für Kinderarbeit ist Armut. Wenn das Einkommen der Eltern nicht ausreicht, die Familie zu ernähren, müssen die Kinder zum Lebensunterhalt beitragen. Auch der Zugang zur Bildung sei in betroffenen Ländern oft abhängig vom Verdienst der Kinder, betonte Auma Obama: „Kinder können dadurch ihre Schulhefte bezahlen.“

In Südamerika kämpfen Kindergewerkschaften deshalb schon seit Jahren für ihr Recht auf Arbeit. Mit Erfolg: In Bolivien dürfen Minderjährige seit 2014 bereits ab dem zehnten Lebensjahr legal arbeiten, wenn sie das auf eigene Rechnung tun. Liebel betonte, ein schlichtes Verbot von Kinderarbeit sei „zu einfach“. Man könne die Realität nicht einfach ignorieren.

Wichtig sei es, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die den Kindern nicht schaden. Zu gefährlichen Arbeiten in Bergwerken zum Beispiel müssten Alternativen gefunden werden. Das Gesetz in Bolivien solle die Kinder schützen und ihre Arbeitsbedingungen verbessern. „Die EU und auch die Bundesregierung sollten dies als Modellversuch sehen und positiv begleiten“, sagte Liebel. „Doch sie bleiben bei dem von der ILO propagierten Totalverbot. Das setzt falsche Signale.“

Auma Obama ist in Nairobi aufgewachsen und musste als Kind selbst arbeiten. Wie Liebel betonte sie, man müsse zwischen kindgerechter und ausbeuterischer Arbeit differenzieren. „Für uns ist es ganz selbstverständlich, dass Kinder im Haushalt oder auf dem Feld mitarbeiten. Dadurch lernen sie Verantwortung zu übernehmen.“ Eine völlige Abschaffung gehe nicht nur an der Realität vorbei, sie schade auch der Würde der Kinder, die sich in die Gemeinschaft einbringen wollten.

„Wir müssen akzeptieren, dass es unterschiedliche Vorstellungen von Kindheit gibt. Und dass das Konzept des Westens nicht unbedingt für alle der richtige Weg ist.“ Auch Erwerbsarbeit lasse sich durch Verbote nicht einfach aus der Welt schafften. „Wir müssen aber alles daran setzen, sie besser zu kontrollieren.“ Bildung und Arbeit dürften sich zudem nicht gegenseitig ausschließen, so Obama weiter: Der richtige Ansatz sei es stattdessen, beides zu verbinden.

20 Euro für Familien von Schulkindern

Die GIZ, die im Auftrag des deutschen Entwicklungsministeriums weltweit Kinderarbeit bekämpft, setzt konsequent auf Bildungsförderung. Incentives lautet hier das Stichwort. Die indonesische Regierung zahlt beispielsweise Familien, die ihre Kinder in die Schule schicken und sie regelmäßig ärztlich untersuchen lassen, 20 Euro im Monat. Die GIZ hat das Programm mitentwickelt. „Inzwischen sind die Einschulungsraten deutlich nach oben gegangen", sagte Taube. Auch in Burkina Faso sei die Einschulungsrate durch einen Bildungsplan von 20 auf 50 Prozent erhöht worden.

Auma Obama hält Sozialprogramme wie in Indonesien allerdings für einen völlig falschen Weg. „Wo ist da die Exit-Strategie“, fragte sie. Statt Familien zu motivieren, selbst Geld zu verdienen, würden sie in eine finanzielle Abhängigkeit gebracht. Sie forderte außerdem, Kinder selbst stärker in Entwicklungsprojekte einzubeziehen. Sie sollten mitdiskutieren und mitverhandeln. „Kinder müssen eine Stimme haben.“, so Obama. Regierungen und Entwicklungsorganisationen müssten dafür Plattformen schaffen.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zielt laut Taube aber auch darauf ab, die Produktionsbedingungen – beispielsweise auf Kakaoplantagen in Westafrika oder in der Textilproduktion in Bangladesch – so zu verbessern, dass Kinderarbeit überflüssig wird. „Wenn die Erwachsenen mehr verdienen, müssen ihre Kinder nicht helfen und können zur Schule gehen.“

Die Zertifizierung von nachhaltig produzierter Schokolade beispielsweise könne dabei helfen. In Westafrika arbeiten deutsche Unternehmen gemeinsam mit staatlichen und zivilen Akteuren in einem „Forum nachhaltiger Kakao“ zusammen. „Das wird zwar nicht alle Probleme lösen, aber es ist ein lohnenswerter Anfang“, so Taube. Eine wichtige Voraussetzung: Die Verbraucher in den Industrieländern müssten bereit sein, faire Preise zu zahlen.

Josefa Raschendorfer

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