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Politik: Aus dem Takt

Von Clemens Wergin

Ariel Scharon kann seinen größten Triumph nicht mehr bei Bewusstsein erleben. Und doch ist er für die größte innenpolitische Revolution verantwortlich: Er hat die moderaten konservativen Kräfte von ihrer Bindung an die Siedlerbewegung befreit und die Kadima-Partei gegründet, die nun einen Sieg bei den Parlamentswahlen errungen hat. Scharon ist es auch zu verdanken, dass der rechtsnationale Likud auf einem historischen Tiefstand angekommen ist.

Wegen der geringen Wahlbeteiligung ist der Sieg Kadimas nicht ganz so strahlend ausgefallen wie vorhergesagt. Dennoch wird Scharons Nachfolger Ehud Olmert mit der Arbeitspartei, der religiösen Schaspartei und der überraschend starken Rentnerpartei eine stabile Regierung bilden können. Nur, wird sie Israelis und Palästinenser einem Frieden näher bringen können?

Hier zeigt sich ein altes Problem: Es will nicht gelingen, die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf beiden Seiten des Nahostkonflikts zu synchronisieren. Das war 1996 so, als die Israelis sich nach der Ermordung Jitzchak Rabins für Benjamin Netanjahu entschieden und dem Friedensprozess so einen harten Schlag versetzten. Bei den Verhandlungen in Camp David im Jahr 2000 war es die palästinensische Führung, die noch nicht bereit war zum entscheidenden Schritt. Ähnlich ist es heute: Während die Wahl Ausdruck eines Konsenses ist, dass Israel weite Teile der besetzten Territorien aufgeben muss, haben die Palästinenser für die Hamas votiert. Und die ist im Moment nicht willens, Israel mehr als einen zeitweiligen Waffenstillstand anzubieten. Zu einem echten Frieden, der die Anerkennung Israels voraussetzt, scheinen die Islamisten nicht bereit zu sein. Die Liste der nicht genutzten Möglichkeiten im Nahostkonflikt wird sich also wahrscheinlich verlängern.

Statt seiner Lösung wird man in den nächsten Jahren ein Management des Konflikts erwarten dürfen. Denn trotz aller Verweigerungshaltung hat die Hamas kein Interesse, die Situation eskalieren zu lassen. Ihr geht es darum, zunächst die Schaltstellen der Macht zu besetzen und ihren Griff auf die palästinensische Gesellschaft zu festigen. In Ermangelung eines kompromissbereiten Partners wird Olmert die Politik der einseitigen Loslösung auch auf Teile der Westbank ausweiten.

Diese Strategie ist eine weitere Revolution, die Israel Scharon verdankt. Nachdem die Siedler an der Realität der Besetzung und das Friedenscamp an der palästinensischen Führung gescheitert waren, eröffnete er hier einen dritten Weg, der Israel unabhängig macht von den Entwicklungen auf der anderen Seite. Im Vergleich zu einem echten Frieden ist das nur die zweitbeste Lösung. Und Olmert gibt sich auch einer Illusion hin, wenn er glaubt, dass die Welt allein von Israel festgelegte Grenzen akzeptieren würde. Aber ein einseitiger Rückzug ist immer noch besser als gar kein Rückzug, und jede geräumte Siedlung bedeutet die Korrektur eines historischen Fehlers.

Die internationale Gemeinschaft ist also gut beraten, keine falschen Hoffnungen auf ein Wiederaufleben des Friedensprozesses zu setzen. Es wäre schon einiges erreicht, wenn man die Hamas davon abbringen kann, nach der Konsolidierung ihrer Macht eine dritte Intifada zu starten, und verhindert, dass Israel in Jerusalem und anderswo Siedlungsblöcke verstärkt, die die Lebensfähigkeit eines künftigen Palästinenserstaates untergraben. Weitergehende Ambitionen wird man sich aufsparen müssen für den Moment, an dem beide Seiten endlich gleich getaktet sind.

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